Kapitel 2

Die Bedeutung der Hingabe

Worte Sri Aurobindos

Wenn man sich dem Göttlichen mit Vertrauen und Zuversicht hingibt, kann alles vom Göttlichen getan werden – die Läuterung von Herz und Natur, die Erweckung des inneren Bewusstseins und die Entfernung der Schleier –, und selbst wenn man es nicht auf einmal in aller Vollständigkeit tun kann, erfolgt doch in dem Maße, wie man sich bemüht, die innere Hilfe und Führung, und es wächst die Erfahrung des Göttlichen im Inneren. Sobald das fragende Mental weniger aktiv wird, sobald die Demut und der Wille zur Hingabe wachsen, sollte dies durchaus möglich sein. Keine andere Kraft und Tapasya werden dann benötigt als diese allein.

Worte der Mutter

Yoga bedeutet Einung mit dem Göttlichen, und die Einung geschieht durch Darbringung – sie gründet sich auf die Darbringung deiner selbst an das Göttliche. Zu Beginn fängst du damit an, diese Darbringung in einer allgemeinen Weise zu vollziehen, gleichsam ein für allemal. Du sagst: „Ich bin der Diener des Göttlichen; mein Leben ist ganz und gar dem Göttlichen gegeben; all meine Bemühungen sind auf die Verwirklichung des Göttlichen Lebens gerichtet.“ Doch das ist nur der erste Schritt, denn er genügt nicht. Wenn die Entscheidung getroffen ist, wenn du beschlossen hast, dass dein ganzes Leben dem Göttlichen gegeben werden soll, dann musst du dich immer noch in jedem Augenblick daran erinnern und sie in allen Einzelheiten deines Daseins ausführen. Bei jedem Schritt musst du spüren, dass du dem Göttlichen gehörst; es muss dir zur ständigen Erfahrung werden, dass in allem, was du denkst und tust, das Göttliche Bewusstsein durch dich wirkt. Künftig hast du nichts mehr, was du dein eigen nennen kannst. Du fühlst, dass alles vom Göttlichen kommt, und du musst es seiner Quelle zurückgeben. Wenn du das verwirklichen kannst, wird die kleinste Sache, der du normalerweise nicht viel Aufmerksamkeit oder Sorgfalt widmest, aufhören, trivial und unbedeutend zu erscheinen. Sie wird voller Sinn und eröffnet einen weiten jenseitigen Horizont.

Folgendermaßen musst du anfangen, um deine allgemeine Darbringung umzusetzen in eine, die sich in allen Einzelheiten bewährt: Lebe ständig in der Gegenwart des Göttlichen; lebe im Gefühl, dass es diese Präsenz ist, die dich bewegt und die alles tut, was du tust. Bringe ihr all deine Regungen dar, nicht nur alle mentalen Tätigkeiten, jeden Gedanken und jedes Gefühl, sondern auch die gewöhnlichsten und äußerlichsten Handlungen wie das Essen. Wenn du isst, musst du fühlen, dass das Göttliche durch dich isst. Wenn du so alle Regungen in das Eine Leben zusammenführst, nimmt in dir Einheit den Platz der Trennung ein. Du hast den Zustand hinter dir, in dem ein Teil deiner Natur dem Göttlichen gegeben war, während der Rest in seiner gewöhnlichen Art und Weise verbleibt und von gewöhnlichen Dingen in Anspruch genommen wird. Dein gesamtes Leben hat eine einzige Richtung eingeschlagen; allmählich vollzieht sich eine integrale Umwandlung in dir.

Worte der Mutter

Hingabe ist der Entschluss, dem Göttlichen die Verantwortung über dein Leben anzuvertrauen. Ohne diese Entscheidung ist gar nichts möglich; wenn du dich nicht hingibst, kommt Yoga überhaupt nicht in Frage. Alles andere folgt dem auf natürliche Weise, denn der ganze Prozess beginnt mit der Hingabe. Du kannst dies mit Hilfe des Wissens oder durch innige Verehrung leisten. Du kannst eine starke Intuition haben, dass das Göttliche die alleinige Wahrheit ist, und eine klare Überzeugung, dass du ohne das Göttliche nichts vermagst. Oder du kannst ein spontanes Gefühl haben, dass dieser Weg der einzige ist, um glücklich zu sein, einen starken seelischen Drang, ausschließlich dem Göttlichen zu gehören: „Ich gehöre nicht mir selbst“ sagst du und überlässt die Verantwortung für dein Wesen der Wahrheit. Dann kommt die Selbst-Darbringung: „Hier bin ich, ein Geschöpf mit verschiedenen Eigenschaften, guten und schlechten, dunklen und hellen. Ich bringe mich dir dar, so wie ich bin, nimm mich an mit all meinen Höhen und Tiefen, meinen miteinander ringenden Impulsen und Neigungen – mach mit mir, was du willst.“ Im Laufe deiner Selbst-Darbringung beginnt dein Wesen sich um das herum zu vereinen, das die erste Entscheidung getroffen hat – den zentralen seelischen Willen. All die widerstreitenden Elemente deiner Natur müssen harmonisiert werden, müssen nacheinander genommen und mit dem zentralen Wesen vereinigt werden. Du magst dich mit einer spontanen Regung dem Göttlichen darbringen, aber es ist nicht möglich, dich ohne diese Einswerdung wirklich hinzugeben. Je geeinter du bist, desto mehr bist du fähig, die Selbst-Hingabe zu verwirklichen. Und wenn einmal die Selbst-Hingabe vollständig ist, folgt die Weihung: Sie ist die Krönung des gesamten Vorgangs der Verwirklichung, die letzte Stufe des Anstiegs, nach der es keine Schwierigkeiten mehr gibt und alles glatt verläuft. Aber du darfst nicht vergessen, dass du nicht sofort ganzheitlich geweiht sein kannst. Denn oft verfällst du in solch eine Täuschung, wenn du für einen oder zwei Tage eine starke Regung besonderer Art hast. Du wirst veranlasst zu glauben, dass alles andere automatisch folgen wird. Aber die Tatsache ist, dass du deinen eigenen Fortschritt aufhältst, wenn du auch nur ein klein wenig selbstgefällig wirst. Denn dein Wesen ist voll von unzähligen Neigungen, die sich gegenseitig bekriegen – fast verschiedene Persönlichkeiten, könnte man sagen. Wenn eine davon sich dem Göttlichen gibt, kommen die anderen herbei und verweigern ihre Gefolgschaft. „Wir haben uns nicht gegeben“, schreien sie und fangen an, ihre Unabhängigkeit und ihren Selbstausdruck zu fordern. Dann gebietest du ihnen, ruhig zu sein, und zeigst ihnen die Wahrheit. Geduldig hast du durch dein ganzes Wesen zu gehen, jeden Winkel und jede Ecke zu erforschen, all den anarchischen Elementen in dir entgegenzutreten, die auf ihren psychologischen Moment warten, aufzutauchen. Und nur wenn du deine Runde durch deine ganze mentale, vitale und physische Natur gemacht und alles überzeugt hast, sich dem Göttlichen zu geben, und du so eine absolut geeinte Weihung erreicht hast, dann erst hast du deinen Schwierigkeiten ein Ende gesetzt. Dann ist ein glorreicher Weg zur Umwandlung der deinige, denn dann schreitest du nicht mehr von der Dunkelheit zu Wissen, sondern von Wissen zu Wissen, von Licht zu Licht, von Glück zu Glück…

Die vollständige Weihung ist zweifellos keine leichte Sache und könnte sehr wohl eine endlose Zeit beanspruchen, wenn du sie allein durch deine eigene unabhängige Bemühung tun müsstest. Doch verhält es sich nicht ganz so, wenn die Gnade des Göttlichen mit dir ist. Mit einem kleinen Anstoß vom Göttlichen von Zeit zu Zeit, einem kleinen Schubs in diese oder jene Richtung, wird die Arbeit verhältnismäßig einfach. Natürlich hängt die Dauer von jedem Einzelnen ab, aber sie kann beträchtlich verkürzt werden, wenn dein Entschluss wirklich fest ist. Entschlossenheit ist das eine Erforderliche – Entschlossenheit ist der Hauptschlüssel.

Worte der Mutter

Die wichtigste Hingabe ist die Hingabe deines Charakters, deiner Wesensart, damit er sich wandeln kann. Wenn du nicht deine ureigenste Natur hingibst, wird sich diese Natur nie ändern. Das ist das Allerwichtigste. Du hast eine bestimmte Art des Verstehens, gewisse Weisen des Reagierens, gewisse Anlagen des Fühlens, beinahe bestimmte Methoden des Voranschreitens und vor allem eine besondere Art, das Leben zu betrachten und von ihm bestimmte Dinge zu erwarten – nun, das ist es, was du hingeben musst. Das heißt, wenn du wahrhaftig das göttliche Licht empfangen und dich wandeln willst, dann musst du deine ganze Wesensart darbringen – indem du sie öffnest, sie so empfänglich wie möglich machst, damit das göttliche Bewusstsein, das sieht, wie du sein solltest, unmittelbar auf diese Regungen einwirken und sie in wahre Regungen wandeln kann, die tiefer im Einklang mit deiner eigenen Wahrheit sind. Dies ist weitaus wichtiger als das hinzugeben, was man tut. Nicht was man tut, ist das Wichtigste (obwohl natürlich auch das wichtig ist), sondern was man ist. Um welche Tätigkeit es sich auch handelt, es kommt dabei nicht eigentlich auf die Art und Weise des Tuns an, sondern auf den Bewusstseinszustand, in dem gehandelt wird. Du magst arbeiten, eine uneigennützige Arbeit verrichten, ohne im Geringsten an persönlichen Gewinn zu denken, arbeiten um der Freude an der Arbeit willen, doch bist du nicht gleichzeitig bereit, diese Arbeit auch zu lassen, die Arbeit zu wechseln oder die Arbeitsweise zu ändern, wenn du an deiner Art zu arbeiten hängst, dann ist deine Hingabe nicht vollständig.