Kapitel 2
Der Nutzen von Meditation und Kontemplation im Yoga
Worte Sri Aurobindos
Was genau ist mit Meditation im Yoga gemeint? Und was sollten die Ziele sein?
Die Schwierigkeit, die unser Korrespondent findet, liegt in einem scheinbaren Konflikt der Autoritäten, da manchmal Meditation in Form einer konzentrierten Abfolge von Gedanken zu einem bestimmten Thema empfohlen wird, manchmal die ausschließliche Konzentration des mentalen Geistes auf ein bestimmtes Bild, Wort oder eine bestimmte Idee, eine festgelegte Kontemplation und nicht Meditation. Die Wahl zwischen diesen beiden Methoden und anderen – denn es gibt noch andere – hängt von dem jeweiligen Ziel ab, das wir im Yoga vor Augen haben.
Das denkende Mental ist das einzige Instrument, über das wir derzeit verfügen, mit dem wir zu einer bewussten Selbstorganisation unserer inneren Existenz gelangen können. Aber in den meisten Menschen ist das Denken eine verwirrende Mischung aus Ideen, Empfindungen und Eindrücken, die sich unter dem Druck einer Reihe von unmittelbaren Interessen und Bedürfnissen so gut wie möglich anordnen. Gemäß der allgemeinen Methode der Natur ist vieles davon unbrauchbar, und nur ein kleiner Teil wird für bestimmte und dauerhafte Formationen verwendet. Und wie in der physischen Natur wird auch hier der gesamte Prozess durch Gesetze geregelt, die wir eher erleiden als nutzen oder kontrollieren.
Die Konzentration des Denkens wird von den Raja-Yogins genutzt, um Freiheit und Kontrolle über die Funktionsweise des Mentals zu erlangen, so wie die Prozesse der regulierten Atmung und der fixierten Haltung von den Hatha-Yogins genutzt werden, um Freiheit und Kontrolle über die Funktionsweise des Körpers und die vitalen Funktionen zu erlangen.
Durch Meditation korrigieren wir das ruhelose Herumwandern des mentalen Geistes und trainieren ihn wie einen Athleten, um all seine Energien auf das Erlangen eines erstrebenswerten Wissens oder einer Selbstdisziplin zu bündeln. Dies wird üblicherweise schon von Menschen im normalen Leben getan, doch Yoga übernimmt diese höhere Wirkensweise der Natur und bringt ihre vollen Möglichkeiten zur Geltung. Durch die erleuchtende Ausrichtung des Mentals auf ein einziges Thema des Denkens rufen wir eine Antwort im allgemeinen Bewusstsein, die den mentalen Geist befriedigt, indem sie Wissen über dieses Thema in ihn gießt oder uns sogar seine zentrale oder wesentliche Wahrheit offenbart. Wir erwecken auch eine Antwort der Kraft, die uns auf verschiedene Weise eine zunehmende Beherrschung des Wirkens dessen gibt, worüber wir meditieren, oder die uns ermöglicht, es zu erschaffen und in uns selbst aktiv zu machen. Indem wir also das Mental auf die Idee der Göttlichen Liebe fixieren, können wir zur Erkenntnis dieses Prinzips und seiner Funktionsweise gelangen, uns in Gemeinschaft mit ihr begeben, sie in uns selbst erschaffen und ihr Gesetz dem Herzen und den Sinnen auferlegen.
Im Yoga wird die Konzentration auch für ein anderes Ziel verwendet: um sich aus dem Wachzustand, der ein begrenzter und oberflächlicher Zustand unseres Bewusstseins ist, in die Tiefen unseres Wesens zurückzuziehen, die an verschiedenen Zuständen des Samadhi gemessen werden. Für diesen Prozess ist die Kontemplation auf ein einziges Thema, eine Idee oder einen Namen machtvoller als die Abfolge konzentrierter Gedanken. Letzteres ist jedoch in der Lage, einen integralen Samadhi vorzubereiten, indem es uns in die indirekte, aber wache Gemeinschaft mit den tieferen Zuständen des Wesens bringt. Der charakteristische Nutzen der Konzentration ist jedoch die leuchtende Aktivität des gestaltenden Denkens, die unter die Kontrolle des Purusha gebracht wird, durch die der Rest des Bewusstseins regiert wird, gefüllt mit immer höheren und weiteren Ideen, die sich schnell in die Form dieser Ideen verwandelten und so perfektioniert wurden. Andere und größere Nutzungsmöglichkeiten gehen darüber hinaus. Sie gehören zu einem späteren Stadium der Selbstentwicklung.
Im Yoga der Hingabe werden beide Prozesse gleichermaßen genutzt, um das ganze Wesen zu konzentrieren oder die ganze menschliche Natur mit Gedanken an das Ziel der Hingabe, seine Formen, seine Essenz, seine Attribute und die Freuden der Anbetung und Vereinigung zu durchdringen. Dann wird der Gedanke zum Diener der Liebe gemacht, zum Vorbereiter der Seligpreisung. Im Yoga des Wissens wird die Meditation ebenfalls zur Unterscheidung des Wahren vom Scheinbaren, des Selbsts von seinen Formen und zur konzentrierten Kontemplation für die Gemeinschaft und den Eintritt des individuellen Bewusstseins in das Brahman verwendet.
Ein Integraler Yoga würde all diese Ziele harmonisieren. Er hätte auch andere Verfahren zur Nutzung des Denkens und zur Beherrschung des Mentals zu seiner Verfügung.

Worte Sri Aurobindos
Es muss Ziel unserer Konzentration sein, diesen gesicherten göttlichen Status zu erlangen. Der erste Schritt bei der Konzentration muss immer der sein, dass wir das abschweifende Mental dazu bringen, bestimmt und unbeirrt einen einzigen Verlauf zusammenhängenden Denkens über ein einziges Subjekt zu verfolgen. Es muss das tun, ohne sich durch Verführungen und fremde Ansprüche an seine Aufmerksamkeit ablenken zu lassen. In unserem gewöhnlichen Leben ist eine ähnliche Konzentration allgemein üblich. Sie wird aber schwieriger, wenn wir sie in unserem Inneren ohne Gegenstand äußerer Art oder ohne ein Handeln leisten müssen, auf das wir unser Mental einstellen können. Diese innere Konzentration muss jedoch der nach dem Wissen Suchende zustande bringen1. Es darf auch nicht nur der fortlaufende Gedanke des intellektuellen Denkers sein, dessen einziges Ziel es ist, seine Auffassungen als Begriffe zu formulieren und intellektuell miteinander zu verbinden. Ebensowenig ist – abgesehen etwa von der Anfangsstufe – der Prozess des rationalen Denkens erwünscht, vielmehr ein Sich-versenken, soweit das möglich ist, in das inhaltsreiche Wesen der Idee, die uns unter dem Drängen des Willens der Seele die vielfältigen Aspekte der Wahrheit herausgeben muss. Wenn sich also das Mental auf die göttliche Liebe als sein Subjekt konzentriert, sollte es sich allein auf das Wesenhafte der Idee, dass Gott die Liebe ist, so einstellen, dass die vielartige Manifestation der göttlichen Liebe ins helle Licht emporsteigt, und zwar nicht nur für das Denken, sondern auch im Herzen, im Wesen und in der Schau des Sadhaka. Dabei mag zuerst das Denken kommen und dann erst die Erfahrung. Es kann aber auch zuerst die Erfahrung eintreten, und das Wissen geht aus der Erfahrung hervor. Was wir so erlangen, sollen wir uns immer mehr aneignen und festhalten, bis es zu unserer ständigen Erfahrung und schließlich zu unserem Dharma, dem Gesetz unseres Wesens, geworden ist.
Das ist der Prozess konzentrierter Meditation. Eine anstrengendere Methode besteht darin, dass wir das Mental allein in der Konzentration auf das Wesenhafte der Idee fixieren, um nicht nur das Denk-Wissen oder die psychologische Erfahrung des Subjekts zu erlangen, sondern um die wirkliche Essenz der Sache hinter ihrer Idee zu begreifen. In diesem Prozess hört das Denken auf und geht in die aufgezehrte ekstatische Kontemplation des Objekts oder (durch Versunkensein) in den inneren Samadhi über. Wenn wir auf diesem Weg fortschreiten, muss aber der Zustand, in den wir uns erheben, nachher wieder zurückgerufen werden, um vom niederen Wesen Besitz zu ergreifen und so sein Licht, seine Macht und Seligkeit auf unser gewöhnliches Bewusstsein auszustrahlen. Wenn das nicht geschieht, könnten wir, wie das viele tun, dieses Licht und diese Seligkeit wohl im verzückten Zustand oder inneren Samadhi besitzen. Wir verlieren aber diese Macht, wenn wir erwachen oder in die Berührung mit der Welt herabsteigen. Ein so verstümmelter Besitz ist nicht das Ziel des Integralen Yoga.
Eine dritte Methode besteht darin, dass wir uns weder am Anfang in einer anstrengenden Meditation auf das einzige Subjekt noch in einer mühevollen Kontemplation auf das einzige Objekt der Gedanken-Schau konzentrieren, sondern dass wir zunächst das Mental vollständig stilllegen. Das kann auf verschiedene Weise getan werden. Bei der einen treten wir völlig hinter die mentale Aktivität zurück und nehmen gar nicht an ihr teil, sondern beobachten sie einfach, bis sie, müde des Herumspringens oder Herumrennens, in wachsende und zuletzt absolute Stille verfällt. Ein anderer Weg ist, dass wir die Suggestionen des Denkens zurückweisen, sie aus dem Mental verjagen, sobald sie kommen, und wir uns fest im Frieden des Seins verhalten, der wirklich und überall hinter der Verwirrung und dem Tumult des Mentals existiert. Wenn dieser verborgene Friede enthüllt ist, legt sich eine große Stille auf unser Wesen. Gewöhnlich kommt mit ihm die Wahrnehmung und Erfahrung des alles durchdringenden schweigenden Brahman, wobei jede Erscheinung zuerst nur eine leere Form und ein Abbild zu sein scheint. Auf der Grundlage dieser Stille kann alles Wissen und alle Erfahrung der tieferen Wahrheit göttlicher Manifestation aufgebaut werden, nicht aber auf den äußeren Erscheinungen der Dinge.
Gewöhnlich wird man, wenn dieser Zustand erlangt ist, eine anstrengende Meditation nicht mehr länger notwendig finden. Freie Willenskonzentration, die das Denken lediglich dazu verwendet, dass es unseren niederen Wesensteilen Anregung und Licht gibt, wird ihre Stelle einnehmen. Dieser Wille wird dann darauf drängen, dass das physische Wesen, die vitale Existenz, das Herz und das Mental sich in die Formen des Göttlichen neu umgestalten, die sich aus dem schweigenden Brahman offenbaren. Je nach der vorausgegangenen Vorbereitung und Läuterung unserer Wesensteile müssen diese nun, mehr oder weniger schnell, mit einem mehr oder minder starken Ringen, dem Gesetz des Willens und seiner Gedankenanregung gehorchen. So ergreift schließlich das Wissen des Göttlichen Wesens von unserem Bewusstsein auf allen seinen Ebenen Besitz. Das Ebenbild der Gottheit wird in unserer menschlichen Existenz geformt, wie das einst von den alten vedischen Sadhaks getan wurde. Für den Integralen Yoga ist das die unmittelbare und machtvollste Disziplin.

1 In den elementaren Stufen der Debatte und des Urteilens im Inneren, vitarka und vicara, geschieht das, um falsche Ideen zu korrigieren und zur intellektuellen Wahrheit zu gelangen.