Kapitel 2

Das Neue in Sri Aurobindos Yoga

Worte Sri Aurobindos

Ich habe ihn den Integralen Yoga genannt, was bedeutet, dass er die Essenz und viele Vorgänge alter Yogasysteme in sich aufnimmt – das Neue liegt in seinem Ziel, seinem Ausgangspunkt und der Vollständigkeit seiner Methode…

Ich weiß sehr wohl, dass es scheinbar ähnliche Ideale und Erwartungen gab – die Vervollkommnung der Menschheit, gewisse tantrische Sadhanas, die Bemühung um vollkommene physische Siddhi bestimmter Yoga-Schulen usw. Ich habe diese Dinge erwähnt und dabei die Ansicht vertreten, dass die spirituelle Vergangenheit der Menschheit eine Vorbereitung der Natur nicht nur zur Erlangung des Göttlichen jenseits der Welt gewesen ist, sondern ebenfalls auf diesen nach vorwärts gerichteten Schritt, den die Evolution des Erdbewusstseins noch zu machen hat. Es interessiert mich aus diesem Grund nicht im geringsten – obwohl diese Ideale bis zu einem gewissen Grad den meinen gleichen, wenn sie auch nicht mit ihnen identisch sind –, ob dieser Yoga, sein Ziel und seine Methode als etwas Neues angesehen werden oder nicht; das ist als solches unbedeutend. Das einzig Wichtige ist, dass er in sich als wahr von denjenigen erkannt wird, die ihn annehmen oder ausüben oder selber durch ihre Verwirklichung wahr machen; es spielt keine Rolle, ob er als neu bezeichnet wird oder als Wiederbelebung und Wiederholung des Alten, das vergessen war. Ich habe ihn in einem Brief an einige Sadhaks als neu bezeichnet, um ihnen zu erklären, dass eine Wiederholung des Ziels und der Idee alter Yogasysteme in meinen Augen nicht genüge, weshalb ich etwas zu Erreichendes aufgezeigt habe, das bislang noch nicht erreicht und noch nicht klar erkannt wurde, obwohl es das Natürliche, wenn auch noch verborgene Ziel des ganzen vergangenen Strebens gewesen ist.

Mein Yoga ist, verglichen mit alten Yogasystemen, insofern neu:

1. Weil er nicht auf eine Abkehr von der Welt und dem Leben um des Himmels und Nirvana willen zielt, sondern auf eine Wandlung des Lebens und Daseins, und dies nicht als etwas Untergeordnetes oder Zufälliges, sondern als deutliches und im Mittelpunkt stehendes Ziel. Wenn es ein Herabkommen in anderen Yogasystemen gibt, so ist dies lediglich ein Zufall auf dem Weg oder etwas, das sich aus dem Aufsteigen [des Bewusstseins] ergibt – das Aufsteigen jedoch ist [dort] das Ziel. Hier ist das Aufsteigen der erste Schritt, es ist ein Hilfsmittel für das Herabkommen. Stempel und Siegel dieser Sadhana ist das Herabkommen des neuen Bewusstseins, das durch das Aufsteigen erreicht wird. Selbst Tantrismus und Vishnuismus enden in der Befreiung vom Leben; hier ist das Ziel die göttliche Erfüllung des Lebens.

2. Weil das Ziel, nach dem gesucht wird, nicht eine individuelle Verwirklichung des Göttlichen zum Heile des Einzelnen ist, sondern etwas, das für das Erdbewusstsein hier gewonnen werden muss, eine kosmische, nicht allein eine überkosmische Verwirklichung. Das zu Gewinnende ist das Einbringen einer neuen Bewusstseins-Macht (der des Supramentals), die bislang noch nicht in der Erdnatur geformt und direkt tätig wurde, nicht einmal im spirituellen Leben, die also noch geformt und unmittelbar wirksam gemacht werden muss.

3. Weil eine Methode zur Erreichung dieses Ziels erarbeitet wurde, die so total und umfassend ist, wie dieses Ziel selbst, nämlich die totale und integrale Wandlung des Bewusstseins und der [menschlichen] Natur; sie greift zwar alte Methoden auf, doch nur als Teilaspekt und augenblickliche Unterstützung anderer [Methoden], die sich von diesen unterscheiden. Ich habe in alten Yogasystemen diese Methode (in ihrer Ganzheit) oder etwas Ähnliches weder verkündet noch verwirklicht gesehen. Wäre dem nicht so, hätte ich meine Zeit nicht damit vergeudet, in dreißigjähriger Suche und innerer Schöpfung einen Pfad auszuhauen, wenn ich stattdessen sicher zu meinem Ziel hätte heimeilen können, leichten Galopps, auf Wegen, die bereits gebahnt wurden, ausgetreten, kartographiert, asphaltiert, gesichert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Unser Yoga ist kein alter Pfad, sondern ein spirituelles Abenteuer.

Worte Sri Aurobindos

Es gibt andere Yoga-Wege, die sofort eintretende Erfolge anbieten. Du kannst bei diesen, da sie dir ganz bestimmte Praktiken und Maßnahmen, kriya, empfehlen, selbst an dir arbeiten. Du kannst dadurch deinem Ego, ahankara, die Genugtuung geben, dass du das Gefühl hast, du selbst tust etwas: heute so viele Atemübungen, pranayama, eine so viel längere Zeit für die Körperübungen, asana, so viel zahlreichere Wiederholungen von Mantras, japa. So viel habe ich geschafft, und darum habe ich auch einen so bestimmten Fortschritt gemacht. Aber wenn du einmal diesen Pfad erwählt hast, dann musst du ihm auch treu bleiben. Jenes sind nur menschliche Methoden. Das ist nicht die Art, wie die unendliche Shakti wirkt. Denn sie geht schweigend, manchmal unmerklich, ihrem Ziel entgegen: hier schreitet sie voran, dort scheint sie stille zu stehen, auf einmal offenbart sie in Macht und Herrlichkeit die großartige Sache, die sie zustande gebracht hat. Jene künstlichen Pfade sind wie Kanäle, die durch die Intelligenz des Menschen gegraben werden: du kannst sie leicht, in Sicherheit und deines Zieles gewiss befahren; aber sie bringen dich nur von dem einen festgelegten Ort zu dem anderen. Unsere Methode ist aber wie der weite und weglose Ozean. Auf ihm kannst du in jede Ferne fahren, nach allen Teilen der Welt. Die Freiheit des Unendlichen steht dir offen. Alles, was du hierzu brauchst, ist das Schiff, das Steuerrad, der Kompass, die Antriebskraft und ein tüchtiger Kapitän. Dein Schiff ist die Wissenschaft davon, wie du zur Erkenntnis des Brahman gelangst, brahmavidya. Der Glaube ist dein Steuerrad. Die Selbsthingabe dein Kompass. Die Kraft, die dich antreibt, ist Shakti, die auf Gottes Geheiß die Welten erschafft, lenkt und zerstört. Gott selbst ist dein Kapitän.

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