Kapitel 13

Angst vor Gott

Worte Sri Aurobindos

Sein [das Motiv der Furcht vor Gott] großer Wert liegt hauptsächlich auf sittlichem Gebiet, wenn die Seele noch nicht erwachsen genug ist, das Gute um seiner selbst willen zu tun, und darum eine Autorität über sich braucht, deren Zorn oder strenges, mitleidloses Gericht sie fürchten muss, um auf dieser Furcht ihre Treue der Tugend aufzubauen. Wenn wir in das spirituelle Wesen hineinwachsen, kann dieses Motiv nicht weiter bestehen bleiben, es sei denn, eine Verwirrung im Mental dauere noch an, ein alter mentaler Starrsinn, woran dieses Motiv weiter haftet. Überdies ist das sittliche Ziel des Yoga von einem Begriff äußerer Tugend verschieden. Gewöhnlich betrachtet man die Ethik als eine Art Mechanismus des richtigen Handelns. Dabei ist die Tat alles. Die wichtigste Frage und die ganze Besorgnis richtet sich darauf, wie man die richtige Tat tut. Für den Yogin hingegen ist die Tat nicht an sich, sondern als Mittel der Seele wichtig, zu Gott emporzuwachsen. Die spirituellen Schriften der Inder legen darum keinen so großen Nachdruck auf die Qualität der zu leistenden Handlung, vielmehr auf die Qualität der Seele, aus der die Handlung fließt: auf ihre Wahrhaftigkeit, Furchtlosigkeit, Reinheit, Liebe, Güte, ihr Mitleid und Nichtschädigenwollen des anderen. Erst dann werten sie die Tat als Ausfluss dieser Gesinnung. Der indischen Mentalität, die seit uralten Zeiten in den Ideen der Yogins herangebildet wurde, ist die alte westliche Vorstellung fremd, dass die menschliche Natur ihrem Wesen nach eigentlich böse sei und wir den Weg der Tugend gehen müssen, trotz unserer gefallenen Natur, die die Tugend ablehnt. Unsere menschliche Natur enthält ebenso die leidenschaftlichen Eigenschaften des rajas wie die nach unten tendierenden des tamas. Aber sie hat auch das reinere Element des sattva, und es ist die Aufgabe der Ethik, dieses nach seiner höchsten Seite hin zu ermutigen. Dadurch steigern wir die göttliche Natur, daivi prakrti, die in uns gegenwärtig ist, und werden von den titanischen und dämonischen Elementen frei. Darum ist das Ziel des sittlichen Wachstums nach dieser Auffassung nicht die hebräische Rechtschaffenheit des Menschen, der Gott fürchtet, sondern Reinheit, Liebe, Güte, Wahrhaftigkeit, Furchtlosigkeit und die Gesinnung, die niemand Schaden zufügt, wie sie der Heilige und der in der Gottesliebe Lebende verwirklichen. Um es noch weiter zu fassen: In die göttliche Natur hineinzuwachsen, ist die höchste Höhe sittlichen Wesens. Das kann am Besten dadurch geschehen, dass man Gott als das höhere Selbst, als den lenkenden, erhebenden Willen oder als den Meister realisiert, den wir lieben und dem wir dienen. Nicht die Angst vor ihm, sondern die Liebe zu ihm und die Aspiration nach der Freiheit und ewigen Reinheit seines Wesens muss das Motiv sein.

Gewiss gibt es die Furcht in den Beziehungen zwischen Herrn und Diener, ja zwischen Vater und Kind. Das geschieht aber nur, wenn sie sich noch auf der menschlichen Ebene bewegen, wenn Kontrolle, Unterwerfung und Strafe in ihnen vorherrschen und die Liebe sich mehr oder minder hinter der Maske der Autorität verbergen muss. Aber selbst als Meister straft Gott niemanden, er droht nicht und zwingt niemanden zum Gehorsam. Die menschliche Seele soll aus freien Stücken zu Gott kommen und sich selbst seiner überwältigenden Kraft darbringen, damit er sie ergreifen und zu seinen göttlichen Höhen emporheben kann. Er will ihr jene Freude der Meisterschaft über die endliche Natur durch das Unendliche schenken. Mit Freuden soll sie dem Höchsten dienen und dadurch die Freiheit von Ichsucht und niederer Natur erlangen. Die Liebe ist der Schlüssel zu dieser Beziehung. Dieses dasyam ist im indischen Yoga das frohe Dienen dem göttlichen Freund oder das leidenschaftliche dem göttlichen Geliebten dargebrachte Dienen. In der Gita fordert der Meister der Welten von seinem Diener, dem bhakta, dass er im Leben nichts anderes ist als sein Instrument. Aber er erhebt diesen Anspruch als der Freund, der innere Lenker und als das höhere Selbst. So beschreibt er sich als den Herrn aller Welten, welcher der Freund aller Geschöpfe ist, sarvalokamahesvaram suhrdam sarvabhutanam. Tatsächlich müssen diese beiden Beziehungen zusammengehen. Keine kann ohne die andere vollkommen sein. So ist es nicht die Vaterschaft Gottes als der Schöpfer, der deshalb Gehorsam verlangt, weil er der Bildner unseres Wesens ist, sondern es ist die Vaterschaft der Liebe, die uns zu der innigeren Seelen-Einung des Yoga führt. Zu beiden ist der wahre Schlüssel die Liebe. Vollkommene Liebe aber lässt keine Furcht zu. Das Ziel ist die innige Nähe der menschlichen Seele zum Göttlichen. Die Furcht schafft dagegen immer eine Schranke und Distanz. Selbst angstvolle Scheu und Ehrfurcht vor der göttlichen Macht sind Zeichen der Distanz und Trennung. Sie schwinden, wenn es zur innigen Einung in Liebe gekommen ist.

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