Kapitel 12

Gleichmut

Worte Sri Aurobindos

Gleichmut bedeutet, unter allen Umständen unberührt zu bleiben. Gleichmut ist die wichtigste Stütze des wahren spirituellen Bewusstseins, von dem der Sadhak sich abwendet, sobald er sich von einer vitalen Bewegung im Fühlen, in der Rede oder im Handeln fortreißen lässt. Gleichmut ist nicht dasselbe wie Nachsicht – obwohl ohne Zweifel ein fester Gleichmut die Fähigkeit eines Menschen, zu erdulden und Nachsicht zu üben, ungeheuer, ja unbegrenzt erhöht.

Gleichmut bedeutet, ein ruhiges und unbewegtes Mental und Vital zu haben. Er bedeutet, von Dingen, die geschehen, die gesagt oder dir angetan wurden, nicht berührt oder gestört zu werden, sondern sie mit geradem Blick zu betrachten, frei von den Verzerrungen, die durch das persönliche Gefühl entstehen. Er bedeutet, zu erkennen zu versuchen, was hinter ihnen steht, warum sie geschehen, was von ihnen gelernt werden kann, was es in einem selbst ist, wogegen sie geworfen werden und welchen inneren Nutzen oder Fortschritt man durch sie gewinnen kann. Gleichmut bedeutet die Meisterung der vitalen Regungen wie Ärger, Empfindlichkeit und Stolz, Begehren und all des Übrigen. Er bedeutet, dass man ihnen nicht erlaubt, vom emotionalen Wesen Besitz zu ergreifen und den inneren Frieden zu stören. Er bedeutet, im Ansturm oder Impuls dieser Dinge nicht zu sprechen und zu handeln, sondern immer nur in der ruhigen inneren Ausgeglichenheit des Geistes. Es ist nicht leicht, diesen Gleichmut in vollem Umfang zu haben, doch sollte man versuchen, ihn mehr und mehr zur Grundlage des inneren Zustandes und der äußeren Bewegungen zu machen.

Gleichmut bedeutet noch etwas anderes: eine gleichmütige Ansicht von den Menschen und ihrer Natur zu haben sowie von den Taten und Kräften, die sie bewegen. Es gelingt einem eher, die Wahrheit über sie zu erkennen, wenn man alle persönlichen Gefühle und sogar alle mentalen Vorurteile aus der Betrachtungsweise und dem Urteil des Mentals entfernt. Persönliche Gefühle verzerren immer und lassen einen in den Taten der Menschen nicht nur die Taten selbst sehen, sondern auch Dinge dahinter, die meist gar nicht vorhanden sind. Missverständnisse und Fehlurteile, die man hätte vermeiden können, sind das Ergebnis, und Geschehnisse von geringfügiger Bedeutung zeitigen große Auswirkungen. Ich habe beobachtet, dass mehr als die Hälfte solcher widrigen Ereignisse im Leben darin ihre Ursache haben. Im gewöhnlichen Leben jedoch sind das persönliche Gefühl und die Empfindlichkeit feste Teile der menschlichen Natur und mögen dort als eine Art Selbstverteidigung ihren Zweck erfüllen – obwohl vermutlich auch dort eine kraftvolle, weite und gleichmütige Haltung den Menschen und Dingen gegenüber eine wesentlich bessere Art der Verteidigung wäre. Für einen Sadhak aber besteht ein großer Teil seines Fortschritts darin, diese Dinge zu überwinden und nur in der stillen Kraft des Geistes zu leben.

Worte Sri Aurobindos

Gleichmut bedeutet nicht eine neue Unwissenheit oder Blindheit. Wir brauchen wegen ihr nicht alles trüb zu sehen. Sie löscht nicht alle Färbungen aus. Verschiedenheit und Variation in den Ausdrucksformen bleiben bestehen. Wir sollen die Unterschiedlichkeit hoch einschätzen und sind dazu nun umso mehr berechtigt als früher, als unser Blick noch parteiisch und irrend durch Liebe und Hass, Bewunderung und Hohn, Sympathie und Antipathie, Zuneigung und Ablehnung getrübt war. Wir müssen hinter allem, was verschieden und unvollständig ist, den Allumfassenden und Unveränderlichen schauen, der darin wohnt. Wir werden die weise Absicht und göttliche Notwendigkeit der besonderen Manifestation fühlen und erkennen. Zumindest werden wir, wenn sie vor unserem Blick verborgen ist, auf sie vertrauen, einerlei ob sie nach unseren menschlichen Maßstäben als harmonisch und vollkommen oder als roh, unvollendet, ja sogar als falsch und böse erscheint.

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