Kapitel 11

Die Mutter, das Selbst und die Seele

Eine Energie des dreieinigen Unendlichen,

So wohnte sie in einer unermesslichen Wirklichkeit,

Ein Entzücken und ein Sein und eine Kraft,

Eine verbundene und myriadenbewegte Fülle,

Eine jungfräuliche Einheit, eine leuchtende Gemahlin,

Behausend eine mannigfache Umarmung,

Um alles in Gottes unermesslicher Wonne zu vermählen,

Tragend die Ewigkeit eines jeden Geistes,

Tragend die Bürde einer allumfassenden Liebe,

Eine wundervolle Mutter von unzähligen Seelen.

Allem konnte sie mit dem Frieden des starken Geistes begegnen.

Doch da sie die Mühsal des Mentals und Lebens kennt

Wie eine Mutter das Leben ihrer Kinder fühlt und teilt,

Bringt sie einen kleinen Teil ihrer selbst hervor,

Ein Wesen, nicht größer als der Daumen eines Menschen,

In eine verborgene Region des Herzens,

Um der Qual zu trotzen und die Seligkeit zu vergessen,

Um das Leiden zu teilen und die Wunden der Erde zu erdulden

Und sich inmitten der Mühen der Gestirne zu mühen.

Die Göttliche Mutter

Die Göttliche Mutter ist das Bewusstsein und die Kraft des Göttlichen – das die Mutter aller Dinge ist.

Die Mutter ist Bewusstsein und Kraft des Göttlichen oder, so könnte man sagen, sie ist das Göttliche in seiner Bewusstseinskraft.

Es ist falsch, die Mutter mit der niederen Prakriti und ihrem Kräfte-Mechanismus zu identifizieren. Prakriti ist hier nur ein Mechanismus, der für das Funktionieren der evolutionären Unwissenheit in Kraft gesetzt wurde. Ebenso wie das unwissende mentale, vitale oder physische Wesen selbst nicht das Göttliche ist, obgleich vom Göttlichen abstammend, so ist der Mechanismus der Prakriti nicht die Göttliche Mutter. Zweifellos ist etwas von ihr in diesem Mechanismus wirkend und steht hinter ihm, das ihn zum evolutionären Zweck erhält; was sie aber in sich selbst darstellt, ist nicht eine Shakti der Avidya, sondern Göttliches Bewusstsein, Macht, Licht – Para Prakriti, der wir uns zuwenden, um Erlösung und die göttliche Erfüllung zu erlangen.

Die Gita [Bhagavadgita] spricht nicht ausdrücklich von der Göttlichen Mutter; es ist immer von Hingabe und Überantwortung zum Purushottama die Rede – sie wird nur als die Para Prakriti erwähnt, die zum Jiva wird, das heißt, die das Göttliche in der Vielfalt manifestiert und durch die der Höchste alle diese Welten erschafft und selbst als Avatar herabsteigt. Die Gita folgt der vedantischen Tradition, die sich gänzlich auf den Ishwara-Aspekt des Göttlichen abstützt und wenig von der Göttlichen Mutter spricht, weil ihr Ziel der Rückzug von Welt und Natur ist und das Erreichen der höchsten Realisation jenseits davon; die tantrische Tradition stützt sich auf den Shakti- oder Ishwari-Aspekt und macht alles von der Göttlichen Mutter abhängig, weil ihr Ziel die Inbesitznahme und Dominierung der Welt-Natur ist und dadurch das Erreichen der höchsten Verwirklichung. Dieser Yoga hier besteht auf beiden Aspekten; Hingabe und Überantwortung an die Göttliche Mutter sind essenziell, da ohne sie Ziel und Zweck dieses Yoga nicht erfüllt werden.

Im Hinblick auf den Purushottama ist die Göttliche Mutter das höchste Göttliche Bewusstsein und die höchste Macht über den Welten, Adya Shakti; sie trägt den Höchsten in sich und manifestiert das Göttliche in den Welten durch den Akshara und Kshara. In Bezug auf den Akshara-Aspekt ist sie dieselbe Para Shakti, die den Purusha unbeweglich in sich trägt und sich selbst ebenfalls unbewegt in ihm, im Hintergrund der ganzen Schöpfung. Auf den Kshara-Aspekt bezogen ist sie die kosmische Energie in Bewegung, die alle Wesen und Kräfte manifestiert.

Die Erfahrung von der Mutter als die Höchste ist die tantrische Erfahrung – es ist nur die eine Seite der Wahrheit.

Es gibt viele Mütter auf kosmischen und spirituellen Ebenen, die den Menschen bei der Suche nach dem Göttlichen helfen. Über ihnen, so habe ich gelesen, steht die Transzendentale Mutter und über ihr die Höchste Mutter. X und Y behaupten, die transzendentale Mutter in ihrem inkarnierten Aspekt gesehen und mit ihr gesprochen zu haben. Das ist schwer zu glauben.

Es gibt nicht mehr als eine Mutter, es gibt nur die Eine in vielen Formen. Das Transzendente ist bloß ein Aspekt der Mutter. Ich weiß nicht, was gemeint ist mit dem verkörperten Aspekt der transzendenten Mutter. Es gibt den verkörperten Aspekt der Einen Mutter – was sie dadurch manifestiert, hängt von ihr selbst ab.

Die Mutter und das Selbst

Du suchst nach Selbstverwirklichung – aber was ist dieses Selbst, wenn nicht das Selbst der Mutter? Es gibt kein anderes.

Mein Herz sehnt sich nach dem Selbst, dem Atman. Diesen Atman empfinde ich als den Herrn meines Seins. Alles, was ich tue, muss ich für ihn tun, um ihn zum absoluten Herrn meiner selbst zu machen.

Es ist das Göttliche, das der Meister ist – das Selbst ist inaktiv, es ist immer ein stiller, alles unterstützender Zeuge – das ist der statische Aspekt. Es gibt aber auch den dynamischen Aspekt, durch den das Göttliche wirkt – dahinter steht die Mutter. Du darfst nicht aus den Augen verlieren, dass es die Mutter ist, über die alle Dinge erreicht werden.

Wenn die Seele in direkter Verbindung mit dem Göttlichen steht, steht dann nicht auch unser Selbst in direkter Verbindung mit dem Göttlichen? Warum empfindet man dann bei der Selbstverwirklichung keine Intimität mit der Mutter, wie man sie bei der Seelenverwirklichung empfindet?

Das Selbst hat zwei Aspekte, den passiven und den aktiven. Im ersten ist es reines Schweigen, Weite, Ruhe, das inaktive Brahman, im zweiten ist es der Kosmische Geist, universal, nicht individuell. Man kann darin Vereinigung oder Einssein mit der Mutter empfinden. Intimität ist ein Gefühl des Individuums und damit des seelischen Wesens.

Du hast mir gesagt, ich solle mich vor Fehlern hüten. Wie denkst du über meine jüngsten höheren Erfahrungen? Früher habe ich ein Bewusstsein gespürt, eine große Weite, die jedes Individuum geworden ist. Dieses Bewusstsein beinhaltet alles und ist in allem. Ich hatte das Gefühl, dass jeder ein Teil von mir ist, weil ich dieses weite Bewusstsein bin. Ich hatte das Gefühl, dass ich alles, was ich tue, für mich selbst tue, das da oben ist. Kannst du mir sagen, was das alles bedeutet und warum du mich gewarnt hast, vorsichtig zu sein? Besteht die Möglichkeit, dass ich einen Fehler mache?

Die Erfahrungen waren alle in Ordnung – aber sie vermitteln nur eine Seite der Göttlichen Wahrheit, das, was man durch das höhere Mental erreicht – die andere Seite ist das, was man durch das Herz erreicht. Über dem höheren Mental werden diese zwei Wahrheiten eins. Wenn man den stillen Atman oberhalb realisiert, läuft man keine Gefahr, aber es gibt auch keine Transformation, lediglich Moksha, Nirvana. Wenn man das kosmische Selbst realisiert, das dynamisch und aktiv ist, dann realisiert man alles als das Selbst, alles als ‚ich-selbst‘, [oder ‚mein selbst‘] und dieses ‚selbst‘ als das Göttliche etc. Das ist alles richtig; es besteht aber die Gefahr, dass sich das Ego des ‚mein‘ bemächtigt, in der Auffassung von ‚alles bin ich selbst‘. Denn dieses ‚ich selbst‘ ist nicht mein persönliches Selbst, sondern ebenso jedermanns Selbst, so wie auch meines. Um eine solche Gefahr auszuschließen, erinnere man sich, dass dieses Göttliche ebenfalls die Mutter ist, dass das persönliche ‚Ich‘ ein Kind der Mutter ist, mit der ich eins bin und doch verschieden, ihr Kind, Diener und Instrument. Ich habe gesagt, dass du nicht aufhören sollst, das Selbst als kosmisches Bewusstsein zu realisieren, aber zur gleichen Zeit musst du dich auch daran erinnern, dass all dies die Mutter ist.

Es ist möglich, dem Wissen näher zu kommen, indem man mit der Erfahrung der Auflösung im Einen beginnt, aber unter der Bedingung, dass du dort nicht stehen bleibst und sie als die höchste Wahrheit nimmst, sondern weitergehst, und dasselbe Eine als die höchste Mutter realisierst, die Bewusstseinskraft des Ewigen. Wenn du andererseits die Annäherung durch die höchste Mutter vollziehst, wird sie dir die Befreiung im schweigenden Einen auch geben, ebenso wie die Realisation des dynamischen Einen, und von da aus ist es leichter, zur Wahrheit zu gelangen, in der beide eins sind und untrennbar. Gleichzeitig wird die im Mental geschaffene Kluft zwischen dem Höchsten und seiner Manifestation überbrückt, und es gibt nicht länger ein Auseinanderklaffen in der Wahrheit, das alles unverständlich macht.

Was allgemein unter dem formlosen svarupa der Mutter verstanden wird, ist in der Regel ihr universeller Aspekt. Da wird sie als universelle Existenz und eine sich über das Universum ausbreitende Macht erfahren, in der alles und durch die alles lebt. Wenn man diese Präsenz fühlt, beginnt man einen universellen Frieden zu spüren, Licht, Kraft, Wonne ohne Grenzen – das ist ihr svarupa. Dies geschieht einem öfter, wenn man sich mit seinem Bewusstsein oberhalb des Kopfes begibt, wo man von diesem einengenden Körperbewusstsein befreit ist und sich auch als weit und still erfährt, ein Selbst mit allen Wesen – frei von Leidenschaft und Störung, in einem ewigen Frieden. Aber dies kann ebenfalls durch das Herz erfahren werden – dann fühlt sich auch das Herz weit wie die Welt, rein und glückselig, erfüllt von der Gegenwart der Mutter.

Es gibt auch die persönliche und individuelle Gegenwart der Mutter im Herzen, die augenblicklich Liebe und Bhakti bringt und das Gefühl einer engen Vertrautheit und eines persönlichen Einsseins.

Die Mutter und die Seele

Chit Shakti oder Bhagavat Chetana ist die Mutter – der Jivatma ist ein Teil von ihr; das seelische Wesen, oder die Seele, ist ein Funke von ihr. Das Ego ist eine entstellte Reflektion des Seelischen oder des Jivatma. Falls du das meinst, ist es korrekt.

Manchmal fühle ich mich, als wäre ich ein Teil der Mutter, die für ihre Arbeit in die Manifestation herabgestiegen ist. So muss ich durch verschiedene menschliche Geburten gehen und Schmerz, Trennung, Leid, Falschheit und Unwissenheit erfahren.

Für jede Seele auf Erden trifft es zu, dass sie ein Teil der Göttlichen Mutter ist, und sie geht durch die Erfahrungen der Unwissenheit hindurch, um zur Wahrheit ihres Seins zu gelangen und um hier das Instrument einer Göttlichen Manifestation und Arbeit zu sein.

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