Kapitel 11

Das einzige, was zählt: Die Wandlung des Bewusstseins

Worte Sri Aurobindos

Eine andere Schwierigkeit in Hinsicht auf die Transformation des Körpers besteht darin, dass er existenziell von Nahrung abhängt, und auch hierin sind die dumpfen körperlichen Instinkte, Impulse und Begierden verwickelt, die mit diesem schwierigen Faktor verbunden sind, das grundsätzliche Verlangen des Gaumens, die Gier nach Nahrung und animalischer Völlerei, die Verrohung des Mentals, wenn es im Morast der Sinne herumkriecht, seiner bloß animalischen Schicht in Knechtschaft hörig geworden ist und sich an seine Bindung an die Materie klammert. Das höhere Menschliche in uns sucht Zuflucht in einer gemäßigten Abwandlung all dessen, in Enthaltsamkeit und Abstinenz oder in Nachlässigkeit hinsichtlich des Körpers und seiner Wünsche, und indem es sich an höhere Dinge verliert. Der spirituelle Sucher, wie z.B. der Jain-Asket, nimmt oft Zuflucht zu langem, häufigem Fasten, das ihn, zumindest zeitweise, aus den Fesseln des körperlichen Verlangens löst und ihm hilft, in sich die reine Leere der weiten Räume des spirituellen Geistes zu fühlen. Aber all das ist noch keine Befreiung, und es mag sich die Frage erheben, ob sich das göttliche Leben ebenfalls nicht nur anfangs, sondern für immer dieser Notwendigkeit unterwerfen muss. Aber es könnte sich nur dann gänzlich befreien, wenn es den Weg ausfindig machen könnte, die universale Energie an sich zu ziehen, und zwar so, dass die Energie nicht nur die vitalen Schichten unserer Körperlichkeit erhalten würde, sondern auch die ihn aufbauende Materie, so dass keine äußere materielle Substanz zu seiner Aufrechterhaltung mehr nötig wäre. Es ist tatsächlich möglich, sogar während langer Fastenperioden, die volle Energie und Aktivität der Seele, des Mentals und des Vitals, ja sogar des Körpers zu erhalten, wach zu bleiben, doch alle Zeit im Yoga konzentriert, oder tief nachzudenken und Tag und Nacht zu schreiben, auf Schlaf zu verzichten, acht Stunden täglich zu marschieren, nur eine dieser Tätigkeiten oder aber alle miteinander zu verrichten und keinen Kräfteverlust zu spüren, keine Müdigkeit, keine Art von Versagen oder gar Zusammenbruch. Am Ende der Fastenzeit kann man sogar die normale oder gar eine größere als die normale Nahrungsmenge sofort zu sich nehmen, ohne einen Übergang oder irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen zu beachten, wie sie die medizinische Wissenschaft empfiehlt, als ob beides, sowohl das völlige Fasten wie auch das Schlemmen ganz natürliche Verhaltensweisen seien, wobei man sofort und leichthin von einer zur anderen überwechseln kann, weil der Körper schon durch eine Art beginnender Transformation trainiert ist, ein Instrument der Kräfte und Aktivitäten des Yoga zu sein. Einer einzigen Folge wird man nicht entgehen können, nämlich dem Schwinden des stofflichen Körpergewebes, seiner fleischlichen Substanz. Es wäre denkbar, wenn nur ein praktischer Weg und die Mittel gefunden werden könnten, dieses letzte und unbesiegbar scheinende Hindernis ebenfalls erobern und den Körper erhalten zu können, und zwar durch einen Austausch seiner Kräfte mit den Kräften der materiellen Natur, indem er ihr die notwendigen Rechte einräumen und von ihr direkt die unterstützenden Energien aus ihrer universalen Existenz beziehen würde. Es wäre auch denkbar, dass man auf dem Höhepunkte der Entwicklung des Lebens jenes Phänomen wiederentdecken und zurückerobern könnte, das man als seine Basis betrachten kann, nämlich die Fähigkeit, die Mittel zur Erhaltung und Selbsterneuerung aus der Umgebung an sich zu ziehen. Oder aber, das entwickeltere Wesen könnte die noch größere Fähigkeit erwerben, diese Mittel von oben an sich zu ziehen statt von unten oder aus unserer Umgebung rundum. Bis wir aber irgendetwas dieser Art erreicht oder ermöglicht haben, müssen wir zu Nahrung und den bekannten materiellen Kräften der Natur zurückkehren.

In Wirklichkeit beziehen wir ständig, wie unbewusst auch immer, universale Energie, die Kraft in der Materie, um unsere materielle Existenz und die mentalen, vitalen und anderen Fähigkeiten im Körper aufzufrischen: Wir tun es direkt in den unsichtbaren Austauschprozessen, die durch die Natur dauernd in Gang gehalten werden und durch spezielle Mittel, die sie erfunden hat; atmen ist eines dieser Mittel, schlafen und ruhen ebenso. Um aber den grobstofflichen Körper, sein Wirken und seine inneren Fähigkeiten zu erhalten und zu erneuern, hat die Natur als ihr grundlegendes Mittel das Aufnehmen von Materie von außen in Form von Nahrung gewählt, deren Verdauung, die Assimilierung dessen, was angleichbar ist, und die Ausscheidung dessen, was nicht angeeignet werden kann oder werden sollte; und das genügt zur bloßen Erhaltung; um aber dem Körper, der auf diese Weise erhalten wird, Gesundheit und Kraft zu verleihen, hat sie noch den Impuls zu Körperübungen und Spielen allerlei Art hinzugefügt, Wege der Verausgabung und Erneuerung der Energie, die Wahl oder die Notwendigkeit vielfältigen Handelns und Arbeitens. In dem neuen Leben wäre es, zumindest anfangs, nicht notwendig oder ratsam, eine übertriebene oder voreilige Zurückweisung der Nahrungsaufnahme zu fordern oder der althergebrachten natürlichen Art, den noch nicht völlig umgeformten Körper zu erhalten. Wenn diese Dinge überwunden werden müssen, dann muss der Entschluss aus dem erwachten Willen des Geistes kommen, eines Willens, der auch in der Materie selbst als gebieterischer Entwicklungszwang auftauchen müsste, als ein Akt der schöpferischen Transmutation der Zeit oder als eine Herabkunft aus dem Transzendenten. Unterdessen mag das Aufladen mit universeller Energie aus unserer Umwelt oder von oben durch bewussten Einsatz der höheren Kräfte unseres Wesens, durch Anrufen des für uns immer noch transzendenten Bewusstseins oder durch die Herabkunft und das Eindringen des Transzendenten selbst ein gelegentliches, ein häufiges oder ein ständiges Phänomen werden; und damit würde die Rolle, die die Nahrung und das Bedürfnis nach ihr spielt, immer mehr an Bedeutung verlieren und zu einer Nebensache werden, die uns nicht mehr wesentlich beschäftigt und von der wir immer weniger abhängig wären.

In der Zwischenzeit mögen Ernährung und die gewöhnlichen Naturprozesse akzeptiert werden, obwohl wir uns aus der Haft der Begierden und der gröberen unterschiedslosen Gelüste und aus dem Griff der Fleischeslust befreien müssten, die alle in den Bereich der Unwissenheit gehören; die körperlichen Prozesse müssen verfeinert und die gröbsten sollten ausgelöscht werden, und entweder müssen neue Verfahrensweisen gefunden werden oder neue Mittel auftauchen. Solange sie akzeptiert sind, mag ein verfeinertes Vergnügen an ihnen erlaubt sein, sogar ein begierdeloses Entzücken des Geschmackssinnes an die Stelle des körperlichen Genusses und des wählerischen Bevorzugens und Zurückweisens treten, unserer jetzigen unreifen Antwort auf das, was die Natur uns anbietet. Es muss daran erinnert werden, dass Erde und Materie in einem göttlichen Leben auf Erden gar nicht zurückgewiesen werden können und sollen, sondern zu sublimieren sind; sie sollen die Möglichkeiten des spirituellen Geistes in sich enthüllen, den höchsten Absichten des Geistes dienen und in Instrumente eines größeren Lebens umgeformt werden.

Worte der Mutter

Die Darstellung, die Sri Aurobindo hier1 von der Möglichkeit eines verlängerten Fastens gibt, wobei man alle Tätigkeiten beibehält, ist die Beschreibung seiner eigenen Erfahrung.

Er spricht nicht von einer Möglichkeit, sondern von etwas, das er getan hat. Doch wäre es ein großer Irrtum zu meinen, dass das ein Experiment ist, das man in seiner äußeren Form nachahmen kann; und selbst wenn man durch eine Willensanstrengung Erfolg hätte, wäre es vom spirituellen Standpunkt aus vollkommen nutzlos, wenn dem Experiment nicht eine Bewusstseinsänderung vorausgegangen ist, was eine Vor-Befreiung wäre.

Durch die Enthaltung von der Nahrung lässt sich kein spiritueller Fortschritt herbeiführen, sondern durch das Freisein von jeglicher Bindung an die Nahrung, von jeder Begierde nach ihr und jeder Sorge um sie und vor allem auch von jedem Bedürfnis, und zwar dadurch, dass man in einem Zustand ist, in dem all diese Dinge dem Bewusstsein so fremd sind, dass sie keinen Platz darin haben. In diesem Augenblick ergibt es sich spontan und natürlich, dass man nutzbringend mit dem Essen aufhören kann. Man könnte sagen, die Grundbedingung ist, dass man vergisst zu essen – dass man es vergisst, denn alle Energien des Wesens und die ganze Konzentration sind einer umfassenderen, wahreren inneren Verwirklichung zugewandt: dieser ständigen, unbedingten Beschäftigung um die Vereinigung des gesamten Wesens, einschließlich der Körperzellen, mit der Schwingung der göttlichen Kräfte, mit der supramentalen Kraft, die sich manifestiert, so dass dies das eigentliche Leben ist: nicht nur der Grund des Lebens, sondern die Essenz des Lebens; nicht nur ein unbedingtes Bedürfnis des Lebens, sondern seine ganze Freude und sein ganzer Sinn.

Wenn das da ist, wenn diese Verwirklichung erreicht ist, dann hat essen oder nicht essen, schlafen oder nicht schlafen, keinerlei Bedeutung mehr. Das ist ein äußerer Rhythmus, der dem Spiel der Kräfte in ihrer Gesamtheit überlassen bleibt und sich in den Umständen und den Personen, die einen umgeben, ausdrückt; und der Körper, vereint, vollkommen vereint mit der inneren Wahrheit, ist dann geschmeidig und befindet sich in ständiger Anpassung: Wenn Nahrung da ist, nimmt er sie; ist sie nicht da, denkt er nicht daran. Und so ist das mit allem anderen… Das ist ja nicht das Leben! Das sind Daseinsweisen, denen man sich anpasst, ohne irgendeinen Gedanken daran zu verschwenden. Das gibt dir eine Art Gefühl des Aufblühens, als öffne sich eine Blüte auf einem Pflanzenstängel, wie eine Aktivität, die nicht aus einem konzentrierten Willen hervorgeht, die aber in Harmonie ist mit allen dich umgebenden Kräften, eine Art und Weise der Anpassung an deine Lebensumstände, die absolut keine Bedeutung in sich selbst haben.

Es kommt ein Zeitpunkt, wo man, frei von allem, praktisch überhaupt nichts mehr braucht und alles benutzen, alles tun kann, ohne dass dies irgendeinen wirklichen Einfluss auf seinen gegenwärtigen Bewusstseinszustand hätte. Darauf kommt es an. Es mit äußeren Schritten oder willkürlichen Entscheidungen zu versuchen, die dem nach einem höheren Leben strebenden mentalen Bewusstsein entspringen, kann ein Mittel sein, das nicht sehr wirksam, aber doch eine Mahnung an das Wesen ist, dass es etwas anderes sein soll als es in seiner Tierhaftigkeit ist – aber das ist es nicht, das ist es überhaupt nicht! Jemand, der so vollständig in seine innere Aspiration vertieft sein könnte, dass er überhaupt keinen besorgten Gedanken an diese äußeren Dinge verschwendet, der einfach nähme, was kommt, und nicht daran dächte, wenn es nicht kommt, wäre unendlich viel weiter auf dem Weg, als jener, der sich zu asketischen Übungen zwingt mit der Vorstellung, das führe ihn zur Verwirklichung.

Das einzig wirklich Effektive ist die Wandlung des Bewusstseins; es ist die innere Befreiung durch eine innige, beständige, absolute, unausweichliche Vereinigung mit der Schwingung der supramentalen Kräfte. Diese Vereinigung mit den supramentalen Kräften, den göttlichen Kräften, ist die Hauptaufgabe in jeder Sekunde, der Wille aller Wesenselemente, die Aspiration des gesamten Wesens, einschließlich aller Körperzellen. Und man braucht sich überhaupt keine Gedanken mehr über die Konsequenzen zu machen. Was im Spiel der universellen Kräfte und ihrer Manifestation da sein soll, wird ganz natürlich, spontan und automatisch da sein, da braucht man sich keine Sorgen zu machen. Das einzige, was zählt, ist die ständige, totale, vollständige – die ständige, ja, die ständige – Verbindung mit der Kraft, dem Licht, der Wahrheit, der Macht und dieser unausdrückbaren Wonne des supramentalen Bewusstseins.

Das ist Aufrichtigkeit. Alles Übrige ist eine Imitation, es ist fast eine Komödie, die man sich selbst vorspielt.

1 Die Mutter bezieht sich auf den Text zuvor aus „The Supramental Manifestation, pp. 28-29“.

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