Kapitel 1
Jnana
1. – Es gibt im Menschen zwei verbündete Mächte: Wissen und Weisheit. Wissen ist so viel von der in einem entstellten Medium erblickten Wahrheit, wie das Mental ertasten kann; Weisheit ist, was das Auge göttlicher Vision im Geist sieht.
2. – Die Inspiration ist ein schmaler Strom leuchtender Klarheit, der einem weiten und ewigen Wissen entspringt; sie übertrifft den Verstand vollständiger als der Verstand die Erkenntnis der Sinne.
3. – Will ich sprechen, so meint der Verstand: „Dies werde ich sagen“; Gott aber nimmt mir das Wort aus dem Mund und die Lippen sagen etwas anderes, vor dem der Verstand erschrickt.
4. – Ich bin kein Jnani, denn ich habe kein Wissen außer dem, das Gott mir für Seine Arbeit gibt. Wie kann ich wissen, ob das, was ich sehe, vernünftig oder verrückt ist? Nein – keines von beiden; denn das Gesehene ist einfach wahr und weder verrückt noch vernünftig.
5. – Erhaschte die Menschheit auch nur einen Schimmer von den unendlichen Freuden, vollkommenen Kräften, leuchtenden Bereichen spontanen Wissens und ruhigen Weiten unseres Wesens, die auf uns warten in den Gegenden, die unsere tierhafte Entwicklung noch nicht erobert hat, so würde sie alles lassen und nicht eher ruhen, als bis sie diese Schätze gewonnen hat. Doch der Pfad ist eng, die Tore schwer zu öffnen, und Angst, Misstrauen und Skepsis sind da als Schildwachen der Natur , unseren Fuß daran zu hindern, sich von den gewohnten Weideländern abzukehren.
6. – Spät habe ich erfahren, dass als die Vernunft starb, Weisheit geboren wurde; vor dieser Befreiung hatte ich nur Wissen.
7. – Was Menschen Wissen nennen, ist das wohldurchdachte Annehmen falscher Anscheine. Weisheit blickt hinter den Schleier und sieht.
8. – Der Verstand trennt, stellt Einzelheiten fest und setzt sie einander gegenüber; Weisheit eint und verbindet die Gegensätze in einer einzigen Harmonie.
9. – Entweder nenne nicht nur deine eigenen Überzeugungen Wissen, die Überzeugungen anderer jedoch Irrtum, Unwissenheit und Scharlatanerie, oder aber lästere nicht über die Dogmen der Sekten und ihre Intoleranz.
10. – Was die Seele sieht und erfahren hat, das weiß sie; das Übrige ist Schein, Vorurteil und Meinung.
11. – Meine Seele weiß, dass sie unsterblich ist. Ihr aber zerstückelt einen Leichnam und ruft triumphierend aus: „Wo ist deine Seele und wo deine Unsterblichkeit?“
12. – Unsterblichkeit ist nicht das Überleben der mentalen Persönlichkeit nach dem Tod, obwohl auch das stimmt, sondern der wache Besitz des ungeborenen und todlosen Selbstes, von dem der Körper nur ein Werkzeug und ein Schatten ist.
13. – Sie bewiesen mir mit überzeugenden Gründen, dass es Gott nicht gebe, und ich glaubte ihnen. Nachher sah ich Gott, denn Er kam und umarmte mich. Wem soll ich nun glauben, den Beweisführungen anderer oder meiner eigenen Erfahrung?
14. – Sie sagten mir: „Diese Dinge sind Halluzinationen.“ Ich erkundigte mich, was eine Halluzination ist und fand, dass es eine subjektive oder psychologische Erfahrung bedeutet, die keiner objektiven oder physischen Realität entspricht. Da saß ich dann und staunte über die Wunder des menschlichen Verstandes.
15. – Halluzination ist der Ausdruck der Wissenschaft für diese unverhofften Einblicke in Wahrheiten, von denen wir aufgrund unserer Beschäftigung mit der Materie im Allgemeinen ausgeschlossen sind; Koinzidenz ist eine Bezeichnung für die merkwürdigen Kunstfertigkeiten im Werk dieser höchsten und universalen Intelligenz, die in ihrem bewussten Wesen wie auf einer Leinwand die Welt entworfen hat.
16. – Was die Menschen Halluzination nennen, ist im Mental und in den Sinnen die Spiegelung von dem, was sich über unseren gewöhnlichen mentalen und sinnlichen Wahrnehmungen befindet. Aberglaube entsteht aus des Mentals Missverstehen dieser Spiegelungen. Eine andere Halluzination gibt es nicht.
17. – Ersticke nicht das Denken unter Fremdwörtern, wie es so viele Disputanten bei ihren Erörterungen tun, noch banne das Fragen in den Schlaf durch den Zauber von Redensarten und Floskeln. Forsche immer; erkunde die Ursache von Dingen, die dem flüchtigen Blick bloß als Zufall oder Täuschung erscheinen.
18. – Jemand schrieb vor, Gott müsse dieses oder jenes sein, sonst sei Er nicht Gott. Doch schien mir, ich könne nur wissen, was Gott ist, und sehe nicht, wie ich Ihm sagen könnte, was Er zu sein habe. Denn nach welchem Richtmaß kann ich Ihn beurteilen? Diese Urteile sind die Torheiten unserer Selbstherrlichkeit.
19. – Zufall gibt es nicht in diesem Universum; die Idee der Illusion ist selbst eine Illusion. Bislang hat es im menschlichen Mental noch nie eine Illusion gegeben, die nicht eine verbergende Form und Entstellung der Wahrheit war.
20. – Als ich den teilenden Verstand hatte, schrak ich vor vielem zurück; nachdem ich ihn in der Schau verloren hatte, durchsuchte ich die Welt nach dem Hässlichen und Abstoßenden, konnte sie aber nicht mehr finden.
21. – Gott hat mir die Augen geöffnet; denn ich sah das Edle im Vulgären, den Reiz im Abstoßenden, die Vollkommenheit im Entstellten und die Schönheit im Hässlichen.
22. – Christen und Vaishnavas preisen die Vergebung; doch ich frage mich: „Was hätte ich zu vergeben und wem?“
23. – Gott schlug mich mit menschlicher Hand; soll ich da sagen: „Ich verzeihe Dir deine Unverschämtheit, O Allmächtiger “?
24. – Gott gab mir Gutes in einem Schlag. Soll ich da sagen: „Ich verzeihe dir, O Allmächtiger, das zugefügte Leid und die Grausamkeit, aber tue es nicht wieder“?
25. – Gräme ich mich über Missgeschick und nenne es schlecht, oder bin ich entmutigt und enttäuscht, dann weiß ich, der ewige Tor ist wieder in mir erwacht.
26. – Wenn ich andere leiden sehe, fühle ich mich unglücklich, aber die Weisheit, die nicht die meine ist, sieht das kommende Gute und gibt ihre Zustimmung.
27. – Sir Philip Sidney sagte von einem Verbrecher, der zum Galgen geführt wurde: „Dort, wäre die Gnade Gottes nicht, geht Sir Philip Sidney.“ Wäre er weiser gewesen, hätte er gesagt: „Dort, durch die Gnade Gottes, geht Sir Philip Sidney.“
28. – Gott ist ein großer und grausamer Quäler, weil Er liebt. Du verstehst das nicht, weil du Krishna nicht gesehen und nicht mit Ihm gespielt hast.
29. – Man nannte Napoleon einen Tyrannen und imperialen Halsabschneider; ich aber sah Gott bewaffnet durch Europa schreiten.
30. – Ich habe vergessen, was Laster und was Tugend ist; ich sehe nur noch Gott Sein Spiel in der Welt und Seinen Willen in der Menschheit.
31. – Ich sah ein Kind sich im Schmutze wälzen, dann dasselbe Kind von seiner Mutter gesäubert und strahlend; aber jedes Mal erschauerte ich vor seiner völligen Reinheit.
32. – Was ich wünschte oder für das Richtige hielt, trifft nicht ein; es ist also klar, dass es keinen All-Weisen gibt, der die Welt lenkt, sondern bloß blinder Zufall oder brutale Kausalität.
33. – Der Atheist ist Gott, der mit Sich selbst Versteck spielt; aber ist der Theist etwas anderes? Nun, vielleicht; denn er hat Gottes Schatten gesehen und danach gegriffen.
34. – O Du, der Du liebst, schlage zu! Schlägst Du mich jetzt nicht, so weiß ich, Du liebst mich nicht.
35. – O Unglück, gesegnet seist du; denn durch dich habe ich das Antlitz meines Geliebten erblickt.
36. – Die Menschen sind immer noch in das Trauern verliebt; wenn sie jemanden sehen, der für Trauer oder Freude zu hoch ist, so verdammen sie ihn und rufen: „O du Gefühlloser!“ Deshalb hängt Christus immer noch am Kreuz in Jerusalem.
37. – Die Menschen sind in die Sünde verliebt; wenn sie jemanden sehen, der für Sünde oder Tugend zu hoch ist, verdammen sie ihn und rufen: „O du Verächter von Banden, du Verruchter und Unmoralischer!“ Darum lebt Sri Krishna immer noch nicht in Brindavun.
38. – Manche sagen, Krishna habe nie gelebt, er sei ein Mythos. Sie meinen auf der Erde; denn gäbe es Brindavun nirgendwo, so hätte das Bhagwat nie geschrieben werden können.
39. – Seltsam! Die Deutschen haben die Existenz von Christus widerlegt, und dennoch bleibt seine Kreuzigung eine bedeutendere historische Tatsache als der Tod Cäsars.
40. – Manchmal kommt einem der Gedanke, dass einzig jene Dinge zählen, die nie geschehen sind; denn daneben erscheinen die meisten geschichtlichen Leistungen fast blass und unbedeutend.
41. – Es gibt vier sehr große Ereignisse in der Geschichte: die Belagerung von Troja, das Leben und die Kreuzigung von Christus, die Verbannung Krishnas in Brindavun und das Gespräch mit Arjuna auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra. Die Belagerung von Troja schuf Hellas, die Verbannung in Brindavun schuf die hingebungsvolle Religion (denn vorher gab es nur Meditation und Verehrung), Christus humanisierte von seinem Kreuz aus Europa, das Gespräch auf Kurukshetra wird die Menschheit noch befreien. Und dennoch wird behauptet, keines dieser vier Ereignisse habe je stattgefunden.
42. – Sie sagen, die Evangelien seien Fälschungen und Krishna eine Erfindung von Dichtern. Man danke also Gott für die Fälschungen und verneige sich vor den Erfindern.
43. – Weist Gott mir meinen Platz in der Hölle zu, so weiß ich nicht, warum ich nach dem Himmel trachten sollte. Er weiß am besten, was gut für mich ist.
44. – Zieht Gott mich dem Himmel zu, dann muss ich, auch wenn Seine andere Hand mich in der Hölle festhalten will, mich dennoch nach oben kämpfen.
45. – Nur jene Gedanken sind wahr, deren Gegenteil zu seiner Zeit und an seinem Platz ebenfalls wahr ist; unbestreitbare Dogmen sind die gefährlichste Art von Lüge.
46. – Logik ist der Wahrheit schlimmster Feind, so wie Selbstgerechtigkeit der schlimmste Feind der Tugend ist, – denn die eine kann ihre eigenen Irrtümer nicht sehen, die andere nicht ihre eigenen Unvollkommenheiten.
47. – Als ich noch in der Unwissenheit schlief, kam ich an einen Ort der Mediation voll heiliger Männer, und ich fand ihre Gesellschaft langweilig und den Ort ein Gefängnis; als ich erwachte, nahm mich Gott in ein Gefängnis und machte es zu einem Ort der Meditation und zu Seiner Zusammenkunft.
48. – Als ich ein langweiliges Buch zu Ende las, und zwar mit Vergnügen, wobei ich seine vollkommene Langweiligkeit dennoch wahrnahm, da wusste ich, dass mein Mental bezwungen war.
49. – Ich wusste, dass mein Mental gemeistert war, als es die Schönheit des Abscheulichen bewunderte und dennoch vollkommen verstand, warum andere vor ihm zurückschraken oder es hassten.
50. – Den Gott der Schönheit und des Guten im Hässlichen und Bösen zu fühlen und zu lieben und es dennoch mit äußerster Liebe von seiner Hässlichkeit und Boshaftigkeit heilen zu wollen, das ist wahre Tugend und Moral.
51. – Den Sünder zu hassen ist die schlimmste Sünde, denn es bedeutet Gott zu hassen; doch wer sie begeht, brüstet sich dazu noch mit seiner höheren Tugend.
52. – Wenn ich von gerechtem Zorn reden höre, staune ich über des Menschen Vermögen, sich selbst zu täuschen.
53. – Es ist ein Wunder, dass die Menschen Gott lieben können und es ihnen doch nicht gelingt, die Menschheit zu lieben. In wen sind denn verliebt?
54. – Die Streitigkeiten religiöser Sekten sind wie das Zanken von Krügen wer von ihnen allein den Nektar der Unsterblichkeit fassen dürfe. Lass sie sich zanken, uns kommt es darauf an, den Nektar zu erhalten, in welchem Krug auch immer, und die Unsterblichkeit zu erlangen.
55. – Du sagst, der Beigeschmack des Kruges verändere das Getränk. Das ist Geschmackssache; doch was kann ihm sein unsterblich machendes Vermögen nehmen?
56. – Sei weit in mir, O Varuna; sei machtvoll in mir, O Indra; O Sonne, sei überaus hell und strahlend; O Mond, sei voller Liebreiz und Süße. Sei wild und schrecklich, O Rudra; seid ungestüm und schnell, O Maruts; sei stark und kühn, O Aryama; sei sinnlich und vergnüglich, O Bhaga; sei zärtlich und gütig, liebend und leidenschaftlich, O Mitra. Sei hell und enthüllend, O Morgendämmerung; O Nacht, sei ehrwürdig und trächtig. O Leben, sei voll, bereit und heiter beschwingt; O Tod, führe meine Schritte von Wohnstatt zu Wohnstatt. Bring all diese in Einklang, O Brahmanaspati. Lass mich diesen Göttern nicht untertan sein, O Kali.
57. – Hast du, O eifriger Disputant, in einem Wortgefecht obsiegt, so bist du sehr zu beklagen; denn du hast eine Gelegenheit verpasst, dein Wissen zu mehren.
58. – Weil der Tiger seiner Natur gemäß handelt und nichts anderes kennt, darum ist er göttlich und wohnt nichts Böses in ihm. Würde er sich selbst hinterfragen, so wäre er ein Verbrecher.
59. – Das Tier, bevor es verdorben ist, hat noch nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse gegessen; der Gott hat diesen aufgegeben zugunsten des Baumes des ewigen Lebens; der Mensch steht zwischen dem höheren Himmel und der niederen Natur.
60. – Eine der größten Tröstungen der Religion ist es, dass du Gott manchmal ergreifen und ihm eine befriedigende Tracht Prügel verabreichen kannst. Die Leute spotten über die Narrheit von Wilden, die ihre Götter schlagen, wenn die Gebete nicht erhört werden; aber die Spötter sind die Toren und die Wilden.
61. – Es gibt keine Sterblichkeit. Sterben kann nur der Unsterbliche; das Sterbliche könnte weder geboren noch zugrunde gehen. Es gibt nichts Endliches. Nur der Unendliche kann für Sich Grenzen schaffen; das Endliche kann weder Anfang noch Ende haben, denn allein die Tatsache der Vorstellung seines Anfangs und Endes erweist seine Unendlichkeit.
62. – Ich hörte einen Narren völligen Unsinn von sich geben und wunderte mich, was Gott damit meinte; dann merkte ich auf und sah eine verzerrte Maske der Wahrheit und Weisheit.
63. – Gott ist groß, sagt der Mohammedaner. Ja, Er ist so groß, dass Er es sich leisten kann, schwach zu sein, wann immer das auch notwendig ist.
64. – Gott scheitert oft bei Seinen Werken; dies ist das Zeichen Seiner grenzenlosen Göttlichkeit.
65. – Weil Gott unüberwindlich groß ist, kann Er es sich leisten, schwach zu sein; weil Er unwandelbar rein ist, kann Er ungestraft in Sünde schwelgen; Er kennt auf ewig alles Entzücken, darum kostet Er auch das Entzücken des Schmerzes; Er ist unabdingbar weise, darum hat Er Sich nicht von der Torheit ausgeschlossen.
66. – Sünde ist, was einst an seinem Platz gewesen war, jetzt aber nicht mehr am Platz ist und dennoch weiterbesteht; es gibt keine andere Sündhaftigkeit.
67. – Es gibt keine Sünde im Menschen, aber sehr viel Krankheit, Unwissenheit und Missbrauch.
68. – Das Gefühl für Sünde war nötig, damit der Mensch an seinen eigenen Unvollkommenheiten Anstoß nehme. Es war Gottes Korrektiv gegen Egoismus. Aber die Ichsucht des Menschen begegnet Gottes Verfahren, indem sie der eigenen Sünden nur sehr dumpf, der Sünden anderer jedoch sehr lebhaft gewahr wird.
69. – Tugend und Sünde sind ein Spiel des Widerstands, das wir mit Gott spielen bei Seinen Bemühungen, uns der Vollkommenheit entgegen zu führen. Das Gefühl der Tugend hilft uns, unsere Sünden im geheimen zu hegen.
70. – Prüfe dich mitleidlos, dann wirst du anderen gegenüber nachsichtiger und mitfühlender sein.
71. – Ein Gedanke ist ein auf die Wahrheit abgeschossener Pfeil; er kann an einem Punkt treffen, nicht aber die ganze Zielscheibe bedecken. Doch der Bogenschütze ist mit seinem Erfolg zu sehr zufrieden, um mehr zu erstreben.
72. – Das Zeichen aufdämmernden Wissens ist das Gefühl, dass ich noch sehr wenig oder gar nichts weiß; und dennoch, könnte ich nur mein Wissen erfassen – alles ist ja bereits mein eigen.
73. – Wenn Weisheit kommt, ist ihre erste Lektion: „So etwas wie Wissen gibt es nicht; es gibt nur flüchtige Einblicke in die Unendliche Gottheit.“
74. – Praktisches Wissen ist etwas anderes; das ist wirklich und brauchbar, aber nie vollständig. Es zu systematisieren und zu kodifizieren ist notwendig, aber fatal.
75. – Systematisieren müssen wir zwar, aber sogar beim Erschaffen und Festhalten des Systems sollten wir nie die Wahrheit aus den Augen verlieren, dass alle Systeme ihrer Natur nach vergänglich und unvollständig sind.
76. – Europa brüstet sich mit seiner praktischen und wissenschaftlichen Organisation und Produktivität. Ich warte, bis seine Organisation perfekt ist; dann wird ein Kind es zerstören.
77. – Das Genie entdeckt ein System; das Durchschnittstalent macht es zur Schablone, bis ein neues Genie sie zertrümmert. Für eine Armee ist es gefährlich, von Veteranen geführt zu werden; denn auf der anderen Seite mag Gott Napoleon stellen.
78. – Solange das Wissen frisch in uns ist, ist es unüberwindlich; alt geworden, verliert es seinen Wert. Das kommt, weil Gott stets vorwärtsschreitet.
79. – Gott ist unendliche Möglichkeit. Darum steht die Wahrheit niemals still; darum auch können dem Irrtum seine Kinder nicht zur Last gelegt werden.
80. – Wenn man gewisse fromme Leute hört, so könnte man meinen, Gott lache nie; Heine lag da näher an der Wahrheit, als er in Ihm den göttlichen Aristophanes fand.
81. – Gottes Lachen ist manchmal recht grob und unziemlich für artige Ohren; es genügt Ihm nicht, Molière zu sein, Er muss durchaus auch Aristophanes und Rabelais sein.
82. – Würden die Menschen das Leben weniger ernst nehmen, so könnten sie es sehr bald vollkommener machen. Gott nimmt seine Werke niemals ernst; darum blicken wir auf dies wundervolle Weltall.
83. – Scham hat vortreffliche Wirkungen, und sowohl im Ästhetischen als auch im Moralischen könnten wir sie schwerlich entbehren; trotzdem ist sie ein Zeichen von Schwäche und der Beweis von Unwissenheit.
84. – Das Übernatürliche ist das, dessen Natur wir noch nicht erreicht haben oder noch nicht kennen, oder dessen Wirkensweisen wir noch nicht gemeistert haben. Das allgemeine Verlangen nach Wundern zeigt, dass des Menschen Anstieg noch nicht zu Ende ist.
85. – Es ist vernünftig und klug, dem Übernatürlichen zu misstrauen; aber daran zu glauben ist auch eine Art von Weisheit.
86. – Große Heilige haben Wunder getan; größere Heilige haben sie verschmäht; die größten haben sie sowohl verschmäht wie getan.
87. – Öffne deine Augen und sieh, was die Welt wirklich ist und was Gott; lass ab von eitlen und angenehmen Vorstellungen.
88. – Diese Welt wurde vom Tod erbaut, damit er leben könne. Willst du den Tod abschaffen? Dann geht auch das Leben zugrunde. Du kannst den Tod nicht abschaffen, aber ihn in eine größere Lebensweise verwandeln.
89. – Diese Welt wurde von Grausamkeit erbaut, damit sie lieben könne. Willst du die Grausamkeit abschaffen? Dann geht auch die Liebe zugrunde. Du kannst Grausamkeit nicht abschaffen, aber sie in ihr Gegenteil verklären, in glühende Liebe und Herrlichkeit.
90. – Diese Welt wurde von Unwissenheit und Irrtum erbaut, damit sie wissen können. Willst du Unwissenheit und Irrtum abschaffen? Dann geht auch das Wissen zugrunde. Du kannst Unwissenheit und Irrtum nicht abschaffen, aber sie in das verändern, was den Verstand völlig und strahlend übersteigt.
91. – Wäre nur Leben und kein Tod, so könnte es keine Unsterblichkeit geben; wäre nur Liebe und keine Grausamkeit, so könnte Freude nur ein laues und flüchtiges Entzücken sein; wäre nur Verstand und keine Unwissenheit, so würde unsere höchste Errungenschaft eine beschränkte Rationalität und Weltklugheit nicht übersteigen.
92. – Verwandelter Tod wird Leben, das Unsterblichkeit ist; verklärte Grausamkeit wird Liebe, die unbändige Ekstase ist; veränderte Unwissenheit wird Licht, das über Klugheit und Wissen hinausschießt.
93. – Schmerz ist die Berührung unserer Mutter, die uns die Verzückung aushalten lehrt und uns beibringt, an dieser zuzunehmen. Drei Stufen hat sie bei ihrem Unterricht: Ertragen als erstes, dann Gleichmut der Seele, als letzte Ekstase.
94. – Alle Entsagung geschieht für eine größere, noch unerlangte Freude. Manche entsagen für die Freude der Pflichterfüllung, manche für die Freude des Friedens, manche für die Gottesfreude und manche für die Freude der Selbstquälerei, doch entsage lieber als Durchgang in die Freiheit und die ungestörte Verzückung darüber.
95. – Nur durch vollkommenen Verzicht auf Begierde oder durch deren vollkommene Befriedigung lässt sich die Umarmung Gottes völlig erfahren; denn in beiden Fällen wird die erforderliche Vorbedingung erfüllt, – das Begehren stirbt.
96. – Erfahre in deiner Seele die Wahrheit der Schrift; danach, wenn du willst, durchdenke deine Erfahrung und lege sie vernünftig dar, doch auch dann misstraue deiner Darlegung; nie aber misstraue deiner Erfahrung.
97. – Wenn du auf deine Seelenerfahrung pochst und die andersartige Seelenerfahrung eines anderen bestreitest, so wisse, dass Gott dich zum Narren hält. Hörst du nicht Sein selbstvergnügtes Lachen hinter den Vorhängen deiner Seele?
98. – Enthüllung ist die unmittelbare Schau, das unmittelbare Hören oder das inspirierte Erinnern der Wahrheit, drishti, sruti, smriti; es ist die höchste Erfahrung und erneuter Erfahrung stets zugänglich. Nicht weil Gott es gesprochen, sondern weil die Seele es gesehen hat, ist das Wort der Schriften unsere höchste Autorität.
99. – Das Wort der Schrift ist unfehlbar; erst mit der Deutung, die Herz und Verstand der Schrift geben, schleicht sich der Irrtum ein.
100. – Meide alle Niedrigkeit, Enge und Seichtheit im religiösen Denken und Erfahren. Sei weiter als die weitesten Horizonte, höher als der höchste Kanchenjunga, tiefer als die tiefsten Ozeane.
101. – In Gottes Sicht gibt es kein Nah und Fern, keine Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Diese bilden nur eine passende Perspektive für Sein Weltgemälde.
102. – Für die Sinne stimmt es immer, dass die Sonne um die Erde kreist; für den Verstand ist dies irrig. Für den Verstand ist es durchaus richtig, dass die Erde um die Sonne kreist; für die höchste Schau ist dies falsch. Weder die Erde noch die Sonne bewegt sich; es gibt nur eine Veränderung in der Beziehung zwischen Sonnen-Bewusstsein und Erd-Bewusstsein.
103. – Sannyasa preisend, sagte Vivekananda, es habe in der ganzen indischen Geschichte nur einen Janaka gegeben. Keineswegs, denn Janaka ist nicht der Name eines einzigen Individuums, sondern einer Dynastie sich selbst regierender Könige und der Siegesruf eines Ideals.
104. – Wie viele unter all den tausend und abertausend ockergewandten Sannyasins sind vollkommen? Die wenigen Errungenschaften und die vielen Annäherungen sind es, die ein Ideal rechtfertigen.
105. – Es hat hunderte vollkommener Sannyasins gegeben, weil Sannyasa weitherum gepredigt und vielfach geübt worden ist; lasst es uns mit der idealen Freiheit ebenso halten, und wir werden hunderte von Janakas haben.
106. – Sannyasa hat eine öffentliche Tracht und äußere Merkmale; darum glauben die Leute, sie leicht erkennen zu können; die Freiheit eines Janakas aber stellt sich nicht zur Schau, sondern trägt das Kleid der Welt; sogar Narada war blind dafür.
107. – Schwer ist es, in der Welt zu sein, frei und dennoch das Leben der gewöhnlichen Menschen führend; aber gerade weil es schwer ist, muss es versucht und vollbracht werden.
108. – Als er Janaka bei seinem Tun betrachtete, hielt ihn selbst Narada, der göttliche Weise, für einen ausschweifenden Weltmann und Genießer. Wenn du die Seele nicht siehst, wie kannst du sagen, ein Mensch sei frei oder gebunden?
109. – Alle Dinge, die des Menschen erreichte Stufe übersteigen, erscheinen ihm schwer, und sie sind auch schwer für seine alleinige Bemühung; leicht und einfach werden sie, sobald Gott im Menschen die Arbeit übernimmt.
110. – Die Beschaffenheit der Sonne oder die Linien des Mars zu sehen, ist zweifellos eine große Errungenschaft; aber wenn du das Instrument hast, das dir eines Menschen Seele wie ein Bild zeigen kann, dann wirst du über die Wunder der physischen Wissenschaft wie über Kinderspielzeuge lächeln.
111. – Wissen ist wie ein Kind mit seinen Errungenschaften; denn hat es etwas herausgefunden, so läuft es frohlockend und lärmend in den Straßen herum; Weisheit verbirgt die ihren für eine lange Zeit in bedächtigem und machtvollem Schweigen.
112. – Wissenschaft redet und gebärdet sich, als hätte sie alles Wissen errungen: Weisheit wandert dahin und hört den Widerhall ihrer einsamen Schritte am Rande unermesslicher Meere.
113. – Hass ist das Zeichen einer geheimen Anziehung, begierig, vor sich selbst zu entfliehen und wütend darauf aus, ihr Vorhandensein zu leugnen. Auch das ist Gottes Spiel in Seinem Geschöpf.
114. – Ichsucht ist die einzige Sünde, Gemeinheit das einzige Laster, Hass das einzige Verbrechen. Alles Übrige lässt sich leicht in Gutes kehren, diese aber sind hartnäckige Widersacher der Göttlichkeit.
115. – Die Welt ist ein langer periodisch wiederkehrender Dezimalbruch mit Brahman als seiner ganzen Zahl. Die Periode scheint anzufangen und zu enden, aber der Bruch ist ewig; er wird nie ein Ende haben und hatte nie wirklich einen Anfang.
116. – Anfang und Ende der Dinge ist ein herkömmlicher Ausdruck unserer Erfahrung; für das eigentliche Sein der Dinge haben diese Begriffe keine Wirklichkeit, es gibt weder Ende noch Anfang.
117. – „Weder ist es so, dass ich jemals nicht gewesen bin, noch du, noch diese Könige, noch dass wir alle jemals nicht sein werden.“ Nicht allein Brahman, sondern auch die Wesen und Dinge in Brahman sind ewig; ihre Erschaffung und Vernichtung ist ein Versteckspiel mit unserem äußeren Bewusstsein.
118. – Die Liebe zur Einsamkeit zeigt eine Anlage zur Erkenntnis; Wissen ist aber erst dann erlangt, wenn wir in unserer Wahrnehmung der Einsamkeit so gefestigt sind, dass wir sie auch in der Menge, im Kampf und auf dem Markte nicht verlieren.
119. – Wenn du beim Vollbringen großer Taten und Bewirken großer Ergebnisse inne wirst, dass du nichts tust, dann wisse, Gott hat von deinen Lidern Sein Siegel gelöst.
120. – Wenn du allein, unbewegt und still auf dem Berggipfel sitzest und dabei die Umwälzungen betrachten kannst, die du leitest, dann hast du die göttliche Schau und bist von den Erscheinungen befreit.
121. – Untätigkeit zu lieben ist Torheit, und Untätigkeit zu verachten ist Torheit; es gibt keine Untätigkeit. Der träge auf dem Sand liegende Stein, in einem müßigen Augenblick von einem Fuß weggetreten, hat seine Wirkung auf die Hemisphären ausgeübt.
122. – Willst du dich nicht von Meinungen narren lassen, so erkenne erst, inwiefern dein Gedanke stimmt, sodann erforsche, worin sein Gegenteil und Widerspruch wahr ist; schließlich entdecke die Ursache dieser Unterschiede und den Schlüssel zu Gottes Harmonie.
123. – Eine Meinung ist weder wahr noch falsch, sondern lediglich brauchbar für das Leben oder unbrauchbar; denn sie ist eine Schöpfung der Zeit und mit der Zeit verliert sie Wirkung und Wert. Erhebe dich also über die Meinung und suche immerwährende Weisheit.
124. – Benutze Meinungen zum Leben, doch lass sie nicht deine Seele in Ketten schlagen.
125. – Jedes Gesetz, wie umfassend oder tyrannisch es auch sei, trifft irgendwo auf ein entgegengesetztes Gesetz, durch das sein Wirken gehemmt, abgeändert, aufgehoben oder umgangen werden kann.
126. – Auch das bindendste Gesetz der Natur ist nur ein festes Verfahren, dass der Herr der Natur gestaltet hat und ständig benutzt; der Spirituelle Geist schuf es und der Spirituelle Geist kann es übersteigen, aber erst müssen wir unsere Kerkertore öffnen und lernen, weniger in der Natur als im Spirituellen Geist zu leben.
127. – Gesetz ist ein Verfahren oder eine Formel; aber die Seele bedient sich der Verfahren und übersteigt die Formeln.
128. – Lebe gemäß der Natur, lautet der Grundsatz des Westens; aber welcher Natur gemäß, der Natur des Körpers oder jener Natur, die den Körper übersteigt? Dies müssten wir zuerst entscheiden.
129. – O Sohn der Unsterblichkeit, lebe nicht der Natur gemäß, sondern Gott gemäß; und bringe auch sie dazu, gemäß der Gottheit in dir zu leben.
130.– Schicksal ist außerhalb von Raum und Zeit Gottes Vorherwissen all dessen, was in Raum und Zeit noch geschehen soll; was Er vorhergesehen hat, arbeiten Macht und Notwendigkeit durch den Widerstreit der Kräfte aus.
131. – Dass Gott alles gewollt und vorgesehen hat, ist kein Grund für dich, untätig dazusitzen und Seine Vorsehung abzuwarten, denn dein Tätigsein ist eine Seiner wichtigsten Vollzugskräfte. Auf denn und handle, nicht eigensüchtig, sondern als der Zeitumstand, das Werkzeug und der scheinbare Verursacher des Geschehens, das Er vorherbestimmt hat.
132. – Als ich nichts wusste, verabscheute ich den Verbrecher, den Sünder und den Unreinen, da ich selbst voll Verbrechen, Sünde und Unreinheit war; als ich aber geläutert und mein Auge entsiegelt war, verneigte ich mich im Geiste vor dem Dieb und dem Mörder und verehrte die Füße der Hure; denn ich sah, dass diese Seelen die schreckliche Last des Bösen auf sich genommen und den Weltozean für uns alle vom Großteil des aufgewühlten Giftes geleert hatten.
133. – Die Titanen sind stärker als die Götter, weil sie mit Gott übereingekommen sind, sich der Last Seines Zorns und Seiner Feindschaft auszusetzen und sie zu tragen; die Götter vermochten nur die angenehme Bürde Seiner Liebe und holden Verzückung anzunehmen.
134. – Wenn du zu sehen vermagst, wie nötig Leid für die letzte Wonne, Scheitern für die äußerste Wirksamkeit und Verzögerung für die höchste Schnelligkeit ist, dann beginnst du vielleicht, wie schwach und trübe auch immer, etwas von Gottes Walten zu begreifen.
135. – Alle Krankheit ist ein Mittel zu einer neuen gesundheitlichen Freude, alles Schlechte und Schmerzhafte ein Gestimmtwerden der Natur auf ein intensiveres Seligkeitsein und Gutes, aller Tod eine Öffnung auf weiteste Unsterblichkeit. Warum und wie, ist Gottes Geheimnis, das nur die von Egoismus geläuterte Seele ergründen kann.
136. – Warum leiden dein Mental oder dein Körper? Weil die Seele hinter dem Schleier das Leid wünscht oder sich daran erfreut; wenn du aber willst – und in deinem Wollen beharrst –, kannst du den niederen Wesensteilen des Geistes Gesetz ungetrübter Wonne auferlegen.
137. – Es gibt kein ehernes oder unausweichliches Gesetz, nach dem ein bestimmter Kontakt Schmerz oder Vergnügen hervorrufen muss; die Art, wie die Seele dem Ansturm oder Druck des Brahman auf die Glieder von außen begegnet, entscheidet die eine oder andere Reaktion.
138. – Wenn die Kraft der Seele in dir auf die gleiche Kraft von außen trifft, kann sie die Maße der Begegnung nicht mit den Werten der Mental-Erfahrung und Körper-Erfahrung in Einklang bringen; deshalb empfindest du Schmerz, Kummer oder Unbehagen. Lernst du es, die Antworten der Kraft in dir den Fragen der Weltkraft anzupassen, dann gewahrst du, dass Schmerz angenehm wird oder sich in reine Wonne wandelt. Rechte Beziehung ist die Voraussetzung für Glückseligkeit, ritam der Schlüssel zu Ananda.
139. – Wer ist der Übermensch? Jener, der sich über diese stoff-verhaftete zersplitterte mentale menschliche Einheit zu erheben und sich, universalisiert und vergöttlicht, in göttlicher Kraft, göttlicher Liebe und Freude sowie göttlichem Wissen selbst zu besitzen vermag.
140. – Behältst du dein beschränktes menschliches Ich und wähnst, du seist der Übermensch, so bist du nur der Narr deines eigenen Hochmuts, der Spielball deiner eigenen Kraft und das Werkzeug deiner eigenen Täuschungen.
141. – Nietzsche sah den Übermenschen als Löwen-Seele, die aus dem Kamel heraustritt; doch das wahre Wappen und Zeichen des Übermenschen ist der Löwe, auf dem Kamel sitzend, das auf der Kuh des Überflusses steht. Kannst du nicht Knecht der ganzen Menschheit sein, so bist du nicht fähig, ihr Herr zu sein; und kannst du nicht deine Natur gleichsam zu Vasishthas Kuh des Überflusses machen, aus deren Euter die ganze Menschheit ziehen kann, was sie braucht, was nützt dann dein löwenhaftes Übermenschentum?
142. – Sei der Welt gegenüber an Furchtlosigkeit und Herrschaft wie der Löwe, an Geduld und Dienstwilligkeit wie das Kamel, an Ruhe, Langmut und mütterlicher Wohltätigkeit wie die Kuh. Mache dich über alle Freuden Gottes her wie ein Löwe über seine Beute, aber bringe auch die ganze Menschheit in jenes unendliche Gefilde üppiger Ekstase, darauf zu weiden und sich zu tummeln.
143. – Dient Kunst nur dazu, die Natur nachzuahmen, so lasst uns alle Gemäldegalerien verbrennen und statt dessen Fotostudios haben. Doch gerade weil die Kunst enthüllt, was die Natur verbirgt, ist ein kleines Bild mehr wert als alle Juwelen der Millionäre und alle Schätze der Prinzen.
144. – Ahmst du nur die sichtbare Natur nach, dann bringst du einen Leichnam, ein totes Abbild oder eine Missgeburt zustande. Die Wahrheit lebt in dem, was hinter und über das Sichtbare und Greifbare hinausgeht.
145. – O Dichter, O Künstler, meinst du, die Natur freue sich an deinem Werk, wenn du ihr bloß den Spiegel vorhältst? Viel eher wendet sie ihr Antlitz ab. Denn was hältst du ihr da vor? Sie selbst? Nein, sondern leblosen Umriss und Abglanz, wesenlose Nachäfferei. Was du fassen musst, ist die geheime Seele der Natur; ewig musst du nach der Wahrheit im äußeren Symbol jagen, und diese fängt kein Spiegel für dich ein, auch nicht für sie, die du suchst.
146. – Ich finde in Shakespeare einen weit größeren und folgerichtigeren Universalisten als in irgendeinem der Griechen. All seine Geschöpfe sind allgemeine Typen, von Lancelot Gobbo und seinem Hund bis hin zu Lear und Hamlet.
147. – Die Griechen suchten Allgemeingültigkeit durch weglassen aller feineren individuellen Züge; Shakespeare suchte sie erfolgreicher, indem er den außergewöhnlichsten individuellen Wesenszügen einen allgemeinen Charakter verlieh. Was die Natur verwendet, um vor uns das Unendliche zu verbergen, das benutzte Shakespeare, um den Ananta-guna im Menschen dem Auge der Menschheit zu enthüllen.
148. – Shakespeare, der das Bild von dem der Natur vorgehaltenen Spiegel schuf, war gerade der Dichter, der sich nie zu einer Kopie, Fotografie oder Nachahmung herabgelassen hat. Der Leser, der in Falstaff, Macbeth, Lear oder Hamlet Nachahmungen der Natur sieht, hat entweder kein inneres Seelenauge oder ist von einer Formel hypnotisiert.
149. – Wo in der stofflichen Natur findest du Falstaff, Macbeth oder Lear? Schatten oder Andeutungen von ihnen besitzt sie, jene selbst aber ragen über sie hinaus.
150. – Zwei gibt es, für die Hoffnung besteht: der Mensch, der Gottes Berührung gefühlt hat und zu ihr hingezogen worden ist, und der skeptische Sucher und selbstüberzeugte Atheist; die Formelkrämer aller Religionen und die Papageien des freien Denkens aber sind tote Seelen, die sich an einen Tod halten, den sie Leben nennen.
151. – Ein Mann kam zu einem Wissenschaftler und wünschte unterrichtet zu werden; der Gelehrte zeigte ihm die Enthüllungen des Mikroskops und des Teleskops, aber der Mann lachte und sagte: „Das sind offensichtliche Halluzinationen, die dem Auge durch das Glas, das Sie als Medium benutzen, vorgegaukelt werden; ich kann nicht glauben, bis ich diese Wunder mit bloßem Auge sehe.“ Da bewies ihm der Gelehrte die Zuverlässigkeit seines Wissens durch viele entsprechende Fakten und Experimente, aber der Mann lachte wieder und sagte: „Was Sie Beweis nennen, das nenne ich Zufall, und eine Anzahl von Zufällen machen keinen Beweis; Ihre Experimente nun werden offensichtlich unter anormalen Bedingungen durchgeführt und bilden eine Art Verirrung der Natur.“ Vor die Ergebnisse der Mathematik gestellt, wurde er wütend und schrie: „Das ist offensichtlich Schwindel, Kauderwelsch und Aberglaube; wollen Sie mir weismachen, diese absurden kabbalistischen Zeichen hätten irgendwelche reale Kraft und Bedeutung?“ Da jagte ihn der Gelehrte als hoffnungslosen Dummkopf hinaus, denn er erkannte sein eigenes System von Verneinungen und seine eigene Methode negativer Beweisführung nicht wieder. Wenn wir eine unparteiische und unvoreingenommene Untersuchung ablehnen wollen, lassen sich stets die achtbarsten vielsilbigen Fremdwörter finden, um unsere Ablehnung zu verdecken oder Prüfungen und Bedingungen vorzuschreiben, welche die Untersuchung widerlegen.
152. – Wenn unser Mental in die Materie versunken ist, hält es diese für die einzige Wirklichkeit; ziehen wir uns in das unstoffliche Bewusstsein zurück, dann sehen wir Materie als eine Maske und haben das Gefühl, allein das Leben im Bewusstsein trage den Stempel des Wirklichen. Welches von beiden ist nun die Wahrheit? Gott mag das entscheiden; doch wer beide Erfahrungen hat, kann leicht sagen, welcher Zustand reicher an Wissen, machtvoller und seliger ist.
153. – Ich glaube, unstoffliches Bewusstsein ist wahrer als stoffliches Bewusstsein; denn im ersteren weiß ich, was im letzteren vor mir verborgen ist, und außerdem steht mir zu Gebot, was das Mental in der Materie weiß.
154. – Hölle und Himmel existieren nur im Bewusstsein der Seele. Gewiss, aber ebenso die Erde und ihre Länder, Meere, Felder, Wüsten, Gebirge und Flüsse. Die ganze Welt ist nichts anderes als eine Anordnung der Schau der Seele.
155. – Es gibt nur eine einzige Seele und ein einziges Dasein; daher sehen wir alle nur eine einzige Gegenständlichkeit; doch gibt es viele Knoten von Mental und Ego in dem einen Seelen-Dasein, und darum sehen wir alle den einen Gegenstand in verschiedenen Lichtern und Schatten.
156. – Der Idealist irrt; nicht das Mental hat die Welten erschaffen, sondern das, was auch das Mental erschaffen hat. Das Mental versieht sich, weil es die Schöpfung nur teilweise und in Einzelheiten sieht.
157. – So sprach Ramakrishna, so sprach Vivekananda. Ja, aber lasst mich auch die Wahrheiten wissen, die der Avatar nicht ausgesprochen und der Prophet in seinen Lehren ausgelassen hat. Da ist immer mehr in Gott als das Denken des Menschen je erfasst und die Zunge des Menschen je geäußert hat.
158. – Was war Ramakrishna? Gott, in einem Menschen offenbart; aber dahinter steht Gott in Seiner unendlichen Unpersönlichkeit und Seiner universalen Persönlichkeit. Und was war Vivekananda? Ein leuchtender Strahl aus dem Auge Shivas; aber hinter ihm steht der göttliche Blick, aus dem er kam, und Shiva selbst und Brahma und Vishnu und das all-übersteigende OM.
159. – Wer Krishna, den Gott im Menschen, nicht erkennt, kennt Gott nicht völlig; wer nur Krishna kennt, kennt nicht einmal Krishna. Doch stimmt auch die umgekehrte Wahrheit völlig, dass nämlich, wenn du Gott vollständig in einer kleinen blassen, unansehnlichen und geruchlosen Blume sehen kannst, du dann Seine höchste Wirklichkeit zu fassen bekommen hast.
160. – Meide die fruchtlosen Fallen einer leeren Metaphysik und den trockenen Staub einer öden Intellektualität. Nur jenes Wissen lohnt es sich zu haben, das für lebendige Wonne genutzt werden kann und sich umsetzen lässt in Temperament, Tätigkeit, Schöpferkraft und Sein.
161. – Werde und lebe das Wissen, das du hast; dann ist dein Wissen der lebendige Gott in dir.
162. – Die Evolution ist nicht abgeschlossen; Vernunft ist nicht das letzte Wort und das vernünftelnde Tier nicht die höchste Formulierung der Natur. Wie der Mensch aus dem Tier hervorgegangen ist, so geht der Übermensch aus dem Menschen hervor.
163. – Das Vermögen, das Gesetz gewissenhaft zu befolgen, ist die Grundlage der Freiheit; in den meisten Disziplinen muss darum die Seele das Gesetz in den niederen Teilen auf sich nehmen und erfüllen, bevor sie sich in die vollendete Freiheit ihres göttlichen Seins erheben kann. Disziplinen, die mit Freiheit beginnen, sind nur für die Machtvollen, die von Natur aus frei sind oder in früheren Leben ihre Freiheit begründet haben.
164. – Die nicht imstande sind, ein selbst auferlegtes Gesetz frei, ganz und vernünftig zu befolgen, müssen dem Willen anderer unterstellt werden. Dies ist einer der Hauptgründe für die Unterwerfung von Nationen. Ist ihre verwirrende Eigensucht von einem Herrn und Meister mit Füßen getreten worden, dann erhalten sie, oder wenn Kraft in ihnen ist, erringen sie eine neue Gelegenheit, Freiheit durch Freiheit zu verdienen.
165. – Das Gesetz zu befolgen, das wir uns selbst auferlegt haben, und nicht das Gesetz anderer, das ist es, was bei unserem unverbesserten Zustand Freiheit bedeutet. Nur in Gott und durch des Geistes Herrschaft können wir vollkommene Freiheit genießen.
166. – Das Doppelgesetz von Sünde und Tugend wird uns auferlegt, weil wir nicht jenes vorbildliche Leben und Wissen im Innern haben, das die Seele spontan und unfehlbar zu ihrer Selbsterfüllung führt. Das Gesetz von Sünde und Tugend hört für uns auf, wenn Gottes Sonne in Wahrheit und Liebe unverhüllt strahlend auf die Seele scheint. Moses wird von Christus abgelöst, das Shastra durch den Veda.
167. – Gott im Innern führt uns immer richtig, sogar wenn wir die Ketten der Unwissenheit tragen; doch dann wird das Ziel, obwohl es feststeht, in Kreisläufen und auf Umwegen erreicht.
168. – Das Kreuz versinnbildlicht im Yoga Seele und Natur in starker und vollkommener Einheit; aber aufgrund unseres Falls in die Unreinheiten der Unwissenheit ist es zum Symbol des Leidens und der Läuterung geworden.
169. – Christus kam auf die Erde, um zu läutern, nicht um zu erfüllen. Er selbst wusste vorher, dass seine Mission scheitern würde und er mit Gottes Schwert in eine Welt zurückkehren müsste, die ihn verschmäht hatte.
170. – Mohammeds Mission war nötig; sonst hätten wir bei den übertriebenen Bemühungen, uns zu läutern, schließlich meinen können, die Erde sei nur für den Mönch bestimmt und die Stadt als Vorhof zur Wüste erbaut.
171. – Letzten Endes können Liebe und Kraft zusammen die Welt erretten, nicht aber Liebe allein oder Kraft allein. Darum musste Christus einem zweiten Kommen entgegensehen, und darum erwartet Mohammeds Religion, wo sie nicht erstarrt ist, durch die Imane einen Mahdi.
172. – Gesetz kann die Welt nicht retten, darum sind die Verordnungen Moses tot für die Menschheit, und das Shastra des Brahmanen ist verdorben und am Sterben. Das in die Freiheit entlassene Gesetz ist der Erlöser. Nicht der Pandit, sondern der Yogi; nicht Mönchstum, sondern innerer Verzicht auf Begehren, Unwissenheit und Egoismus.
173. – Selbst Vivekananda hat sich einst in einer Gefühlsaufwallung zu dem Trugschluss verleiten lassen, dass ein persönlicher Gott zu unmoralisch wäre, um geduldet werden zu können und es die Pflicht aller guten Menschen sein würde, Ihm zu widerstehen. Obwaltet jedoch der Welt ein allmächtiger übermoralischer Wille und eine Intelligenz, dann ist es gewiss unmöglich, Ihm zu widerstehen; unser Widerstand würde lediglich Seinen Zwecken dienen und in Wirklichkeit von Ihm eingegeben sein. Ist es also nicht besser, statt zu verurteilen oder zu leugnen, Ihn zu erforschen und zu begreifen?
174. – Wollen wir Gott begreifen, so müssen wir auf unsere egoistischen und unwissenden menschlichen Maßstäbe verzichten oder aber sie erhöhen und ausweiten.
175. – Weil ein guter Mensch stirbt oder scheitert und die Schlechten leben und triumphieren, soll Gott also schlecht sein? Ich sehe die Logik der Folgerung nicht ein. Erst einmal müsste ich überzeugt sein, dass Tod und Scheitern schlecht sind; manchmal denke ich, wenn sie kommen, sie seien unser höchstes augenblickliches Gute. Wir aber sind die Narren unserer Herzen und Nerven und behaupten, was diese nicht mögen oder wünschen, müsse natürlich schlecht sein!
176. – Wenn ich auf mein vergangenes Leben zurückblicke, sehe ich, ohne Scheitern und Leiden hätte ich die höchsten Segnungen meines Lebens verpasst; doch zum Zeitpunkt des Leidens und Scheiterns quälte mich das Gefühl von Unheil. Weil wir bloß die eine Tatsache vor unserer Nase sehen können, erlauben wir uns dies ganze Schnaufen und Klagen. Seid still, ihr närrischen Herzen! Erschlagt das Ego, lernt weit und universal zu sehen und zu fühlen.
177. – Die vollkommene kosmische Schau und kosmische Empfindung ist die Heilung von allem Irrtum und Leid; doch den meisten Menschen gelingt es nur, die Reichweite ihres Egos zu vergrößern.
178. – Die Menschen sagen und denken: „Für mein Vaterland!“ „Für die Menschheit!“, „Für die Welt!“; in Wirklichkeit aber meinen sie: „Für mich selbst in meinem Vaterland!“, „Für mich selbst in der Menschheit!“, „Für mich selbst, in der Fantasie als Welt vorgestellt!“ Dies mag eine Ausweitung sein, ist aber nicht die Befreiung. In einem weiten Gefängnis zu sitzen ist nicht dieselbe Gegebenheit der Freiheit wie frei herumzulaufen.
179. – Lebe für Gott in deinem Nächsten, Gott in dir selbst, Gott in deinem Vaterland und im Vaterland deines Feindes, Gott in der Menschheit, Gott in Baum und Stein und Tier, Gott in der Welt und außerhalb der Welt; dann bist du auf dem direkten Weg zur Befreiung.
180. – Es gibt geringere und mächtigere Ewigkeiten, denn Ewigkeit ist ein Begriff der Seele und kann sowohl in der Zeit bestehen als auch sie übersteigen. Wenn die Schriften „saswatih samah“ sagen, so meinen sie einen langen Zeitraum, eine lange Zeitdauer oder ein kaum messbares Zeitalter; nur ein Absoluter Gott hat die absolute Ewigkeit. Und doch sieht man, wenn man nach innen geht, dass alle Dinge insgeheim ewig sind; es gibt kein Ende, noch gab es je einen Anfang.
181. – Heißt du jemanden einen Narren, wie du es manchmal wohl musst, so vergiss dabei nicht, dass du selbst der größte Narr der Menschheit gewesen bist.
182. – Gott liebt es, zur rechten Zeit den Narren zu spielen; der Mensch tut es zur Zeit und zur Unzeit. Das ist der einzige Unterschied.
183. – Nach buddhistischer Ansicht ist es ein größeres Werk, eine Ameise vor dem Ertrinken zu erretten, als ein Reich zu gründen. In dieser Vorstellung steckt eine Wahrheit, aber eine, die leicht übertrieben werden kann.
184. – Eine Tugend ungebührlich über alle anderen zu erheben – und sei es auch das Erbarmen –, heißt die Augen der Weisheit mit der Hand zu verdecken. Gott schreitet immer einer Harmonie entgegen.
185. – Mitleid mag, solange deine Seele noch Unterscheidungen trifft, für die leidenden Tiere vorbehalten werden; die Menschheit hingegen verdient von dir etwas Edleres; sie verlangt Liebe, Verständnis, Kameradschaft, die Hilfe von seinesgleichen und dem Bruder.
186. – Die Beiträge des Bösen zum Guten der Welt und das manchmal vom Tugendhaften bewirkte Übel plagen die in das Gute verliebte Seele. Sei dennoch nicht niedergeschlagen und verwirrt, sondern erforsche lieber und begreife in aller Ruhe Gottes Wege mit der Menschheit.
187. – In Gottes Vorsehung ist kein Böses, sondern nur Gutes oder dessen Vorbereitung.
188. – Tugend und Sünde wurden für deiner Seele Kampf und Fortschritt geschaffen; die Ergebnisse dagegen gehören Gott, der sich jenseits von Sünde und Tugend erfüllt.
189. – Lebe im Innern; lass dich nicht von äußeren Geschehnissen erschüttern.
190. – Wirf nicht überall mit Almosen um dich, in einer Zurschaustellung von Mildtätigkeit; verstehe und liebe, wo du hilfst. Lass deine Seele in dir wachsen.
191. – Hilf den Armen, solange welche um dich sind; aber sinne auch darauf und wirke dahin, dass es keine Armen mehr zu unterstützen gebe.
192. – Das altindische Gesellschaftsideal verlangte vom Priester freiwillige Schlichtheit des Lebens, Reinheit, Gelehrsamkeit und unentgeltliche Unterweisung der Gemeinschaft; vom Fürsten Krieg, Regierung, Schutz der Schwachen und Aufopferung des Lebens auf dem Schlachtfeld; vom Kaufmann Handel, Gewinn und Zurückerstattung seiner Erträge an die Gemeinschaft durch freies Geben; vom Knecht Arbeit für die Übrigen und materiellen Besitz. Als Entschädigung für seine Knechtschaft blieb ihm sowohl die Bürde der Selbstverleugnung als auch der Blutzoll und die Besteuerung seines Eigentums erspart.
193. – Das Vorhandensein von Armut ist der Beweis einer ungerechten und schlecht organisierten Gesellschaft, und unsere öffentlichen Wohlfahrtsorganisationen sind nur das erste langsame Erwachen des Gewissens eines Räubers.
194. – Valmekie, unser alter epischer Dichter, zählt zu den Zeichen eines gerechten und aufgeklärten Zustands der Gesellschaft nicht nur allgemeine Erziehung, Sittlichkeit und Spiritualität, sondern auch, dass es „keinen gibt, der minderwertige Nahrung zu essen gezwungen ist, keinen, der ungekrönt und ungesalbt bleibt, und keinen, der als gemeiner und niedriger Sklave des Luxus lebt“.
195. – Armut auf sich zu nehmen ist edel und förderlich für eine Gruppe oder einen Einzelnen; verderblich aber wird es und nimmt unserem Leben die Fülle und Ausweitung, wenn es perverserweise zu einem allgemeinen oder nationalen Ideal erhoben wird. Athen, nicht Sparta, ist das fortschrittliche Vorbild für die Menschheit. Das alte Indien mit seinem Ideal gewaltigen Reichtums und gewaltigen Aufwands war das größte der Völker; das moderne Indien mit seiner Neigung zu nationaler Askese ist völlig lebensarm geworden und in Schwäche und Entwürdigung gesunken.
196. – Armut ist ebensowenig eine Notwendigkeit für das gesellschaftliche Leben wie Krankheit für den natürlichen Körper; falsche Lebensgewohnheiten und Unkenntnis unserer wahren Organisation sind in beiden Fällen an einer vermeidbaren Unordnung schuld.
197. – Wähne nicht, dass die Menschen durch Befreiung von materieller Armut schon restlos glücklich und zufrieden sein würden oder die Gesellschaft ihre Übel, Wirren und Probleme los wäre. Dies ist nur die erste und unterste Notwendigkeit. Solange die Seele im Innern mangelhaft organisiert ist, wird es immer äußere Unruhe, Unordnung und Umwälzung geben.
198. – Krankheit wird den Körper immer wieder befallen, wenn die Seele schadhaft ist; denn die Sünden des Mentals sind die geheime Ursache für die Sünden des Körpers. Ebenso werden Armut und Probleme den Menschen in der Gesellschaft immer wieder befallen, solange das Mental der Rasse dem Egoismus unterworfen ist.
199. – Religion und Philosophie versuchen, den Menschen von seiner Ichsucht zu befreien; dann wird sich das innere Himmelreich von sich aus außen in einer göttlichen Stadt widerspiegeln.
200. – Das mittelalterliche Christentum sagte zur Rasse: „Mensch, schlecht bist du in deinem irdischen Leben und ein Wurm vor Gott; entsage deiner Ichsucht, lebe für einen künftigen Zustand und unterwirf dich Gott und Seinem Priester.“ Die Ergebnisse waren nicht übermäßig gut für die Menschheit. Die moderne Erkenntnis sagt zur Rasse: „Mensch, ein kurzlebiges Tier bist du und für die Natur nicht mehr als die Ameise und der Regenwurm, – bloß ein kleiner vorübergehender Fleck im Universum. Lebe also für den Staat und unterwirf dich ameisenhaft dem geschulten Administrator und dem wissenschaftlichen Experten.“ Wird dies Evangelium besseren Erfolg haben als das andere?
201. – Der Vedanta sagt eher: „Mensch, du bist eine einzige Natur und Substanz mit Gott, eine einzige Seele mit deinen Mitmenschen. Erwache also und schreite voran zu deiner völligen Göttlichkeit, lebe für Gott in dir und in den anderen.“ Dies Evangelium, das nur den Wenigen gegeben wurde, muss jetzt der ganzen Menschheit zu ihrer Befreiung geboten werden.
202. – Die menschliche Art macht immer dann die größten Fortschritte, wenn sie sich der Natur gegenüber in ihrem Wert, ihrer Freiheit und Universalität am stärksten behauptet.
203. – Der animalische Mensch ist der dunkle Ausgangspunkt, der gegenwärtige natürliche Mensch das mannigfaltige und verwickelte Zwischenergebnis, der übernatürliche Mensch aber das leuchtende und transzendente Ziel unserer menschlichen Reise.
204. – Leben und Handeln erreichen den Gipfel und werden dir ewig gekrönt, wenn du die Macht erlangt hast, in jedem Gedanken und jeder Tat, beim Erwerben, Bewahren und Ausgeben von Reichtum, in Heim, Regierung und Gesellschaft, in Kunst, Dichtung und Leben stets den Einen Unsterblichen in diesem niederen sterblichen Wesen zu versinnbildlichen und zu offenbaren.
