Kapitel 1
Eine neue Möglichkeit für den Körper
Die Möglichkeit körperlicher Umwandlung
Worte der Mutter
Einer der größten Siege dieser unbeschreiblichen Demut Gottes wird die Umwandlung der Materie sein, die scheinbar zum Ungöttlichsten gehört. Die supramentale Formbarkeit ist eine Eigenschaft der endgültig umgewandelten Materie. Der supramentale Körper, der entstehen muss, wird vier Haupteigenschaften haben: Leichtigkeit, Anpassungsfähigkeit, Formbarkeit und Leuchtkraft. Wenn der physische Körper durch und durch vergöttlicht sein wird, wird er stets den Eindruck haben, auf Luft zu gehen; es wird keine Schwere, kein Tamas (Trägheit) und keine Unbewusstheit mehr in ihm geben. Auch werden seiner Anpassungsfähigkeit keine Grenzen gesetzt sein, gleich welche Anforderungen an ihn gestellt werden: Er wird ihnen sogleich gewachsen sein, weil seine völlige Bewusstheit alle Trägheit und Unfähigkeit vertreibt, die gewöhnlich Materie zum Ballast für den Geist macht. Die supramentale Formbarkeit wird ihm ermöglichen, Angriffen jeder feindlichen Kraft zu begegnen: Er wird ihr keinen dumpfen Widerstand entgegensetzen, sondern sie durch seine Geschmeidigkeit entkräften, indem er ihr ausweicht und sie ins Leere laufen lässt. So wird er keinen Schaden nehmen und die mörderischsten Angriffe unversehrt überstehen. Schließlich wird er in Lichtsubstanz gewandelt sein; jede Zelle wird die supramentale Herrlichkeit ausstrahlen. Nicht nur jene, die so weit entwickelt sind, dass sie die subtile Schau haben, werden dies Leuchten wahrnehmen können, sondern auch die gewöhnlichsten Leute werden es sehen. Es wird eine offenkundige Tatsache für alle Welt sein, ein dauernder Beweis für die Umwandlung, der auch den schlimmsten Skeptiker überzeugen wird.
Die körperliche Umwandlung wird die erhabene spirituelle Wiedergeburt sein – eine völlige Verwerfung aller gewöhnlichen Vergangenheit. Denn spirituelle Wiedergeburt bedeutet ja ein ständiges Verwerfen unserer alten Bindungen, unserer ehemaligen Handlungsweisen und all der verflossenen Umstände unseres Daseins, um so zu leben, als würden wir in jedem unberührten Augenblick ein neues Leben beginnen. Dies bedeutet Befreiung vom sogenannten Karma, vom Strom unserer einstigen Handlungen; oder anders ausgedrückt, es ist eine Befreiung aus der Knechtschaft der gewohnten Tätigkeiten der Natur, ihren Ursachen und Wirkungen. Sobald dieser Bruch mit der Vergangenheit im Bewusstsein siegreich vollzogen ist, fallen all jene Fehler, Fehltritte, Irrtümer und Torheiten von uns ab, die in unserer Erinnerung so lebendig sind und sich an uns klammern und uns aussaugen wie Blutegel. Sie fallen von uns ab und lassen uns froh und frei sein.

Das Ersetzen der Organe durch Zentren bewusster Energie
Worte der Mutter
Die Umwandlung setzt voraus, dass dieses rein materielle Gefüge ersetzt wird durch ein Gefüge von Kraftkonzentrationen, die über verschiedene Arten von Schwingungen verfügen. Diese Schwingungen ersetzen jedes Organ durch ein Zentrum bewusster Energie, das von einem bewussten Willen angetrieben und von einer Bewegung geleitet wird, die von oben, aus höheren Regionen, stammt. Keinen Magen mehr, kein Herz, kein Kreislauf, keine Lungen, kein … – all das verschwindet. Aber es wird durch eine ganze Reihe von Schwingungen ersetzt, welche die symbolische Bedeutung dieser Organe repräsentieren. Denn die Organe sind nur materielle Symbole von Energiezentren; sie sind nicht die eigentliche Wirklichkeit. Sie geben der Energie in bestimmten Verhältnissen eine Form oder Stütze. Der transformierte Körper wird dann durch seine wahren Energiezentren funktionieren und nicht länger durch ihre symbolischen Vertreter, wie sie im tierischen Körper entwickelt wurden. Darum muss man erst einmal wissen, was das Herz in der kosmischen Energie darstellt, was der Kreislauf, der Magen, das Gehirn. Darüber muss man sich zuallererst im klaren sein. Sodann müssen einem die ursprünglichen Schwingungen von dem zu Gebote stehen, was diese Organe symbolisch darstellen. Und all diese Kräfte muss man im Körper allmählich ansammeln und jedes Organ zu einem Zentrum bewusster Energie machen, das die symbolische Bewegung durch die wirkliche ablösen wird… Glaubst du, das wird nur dreihundert Jahre in Anspruch nehmen? Ich glaube, es wird länger dauern, eine Form zu erhalten mit Eigenschaften, die den bekannten weit überlegen sind, eine Form, die man sich natürlich gestaltungsfähig erträumt: Dass zum Beispiel der Ausdruck des Gesichtes sich je nach den Gefühlen ändert und der Körper zwar nicht gerade eine andere Form annimmt, aber sich doch innerhalb derselben Form dem anpasst, was ausgedrückt werden soll. Er kann sehr gesammelt, entwickelt, lichtvoll und einsichtig werden, vollkommen formbar und geschmeidig, sogar beliebig leicht… Hast du nie geträumt, dass du dich mit einem Tritt vom Boden abstößt, in die Luft erhebst und fliegst? Man bewegt sich auf diese Weise; man drückt ein wenig mit seiner Schulter und man bewegt sich in diese Richtung; drückt wieder und geht dorthin – ohne Schwierigkeit geht man, wohin man will, und wenn man genug hat, kehrt man zurück in den Körper. Nun, das muss man mit dem Körper tun können, so wie auch gewisse Dinge, die mit der Atmung im Zusammenhang stehen. Aber es werden nicht mehr die Lungen sein, sondern eine wahre Bewegung hinter der symbolischen, die eben diese Fähigkeit zur Schwerelosigkeit verleiht. Du gehörst nicht mehr zum System der Schwerkraft, sondern lässt es hinter dich. Und so weiter.
Der Vorstellungskraft sind keine Grenzen gesetzt: leuchtend sein, wenn man es will, durchscheinend sein, wann man will… Natürlich sind auch keine Knochen im System mehr nötig. Es gibt kein Skelett mehr mit Haut und Eingeweiden, sondern etwas anderes: Konzentrierte Energie, die dem Willen gehorcht. Das heißt nicht, dass es keine bestimmten, erkennbaren Formen mehr geben wird, aber die Form wird eher aus Eigenschaften als aus festen Teilchen bestehen. Es wird gewissermaßen eine praktische oder pragmatische Form sein, geschmeidig, wandelbar, beliebig leicht, im Gegensatz zur Starrheit der grobstofflichen Form.
Um also dieses in jenes andere umzuwandeln, sind dreihundert Jahre doch wohl recht wenig. Mir scheint dafür viel mehr Zeit erforderlich. Vielleicht in einer sehr, sehr konzentrierten Arbeit…
Dreihundert Jahre mit demselben Körper?
Nun, man ändert sich ja, es ist nicht mehr derselbe Körper.
Aber wenn unsere kleine menschliche Natur von dreihundert Jahren mit demselben Körper spricht, wird eingewendet: „Also, mit fünfzig Jahren beginnt der ja bereits zu verfallen – was für ein scheußliches Ding wird er erst mit dreihundert sein!“ Doch so verhält es sich eben nicht. Wenn es dreihundert Jahre mit einem Körper sind, der von Jahr zu Jahr vollkommener wird, so wird man, beim dreihundertsten angekommen, vielleicht sagen: „Oh, ich brauche noch drei- oder vierhundert, um so zu werden, wie ich sein will!“ Stellt jedes vergehende Jahr einen Fortschritt, eine Umwandlung dar, so möchte man immer mehr Jahre haben, um sich immer mehr umzuwandeln. Wenn etwas nicht ganz so ist, wie man es gerne hätte – wenn zum Beispiel das eine oder andere der erwähnten Dinge, wie Formbarkeit, Geschmeidigkeit, Leichtigkeit oder Leuchtendsein, noch nicht gänzlich dem entspricht, was man will, braucht man vielleicht noch gut zweihundert Jahre zur Vollendung, doch stöhnt man deswegen nie: „Ach, noch zweihundert Jahre!“, sondern man stellt fest: „Ich benötige unbedingt noch zweihundert Jahre, um das wahrhaft zu Ende zu bringen.“ Und wenn dann alles vollbracht ist, ist von Jahren nicht mehr die Rede, denn man ist unsterblich.
Doch sind viele Einwände möglich. Man kann sagen, ein Körper kann sich nicht wandeln, ohne dass etwas in der Umgebung sich ändert. Und wie wird man mit den Dingen umgehen und mit den anderen Wesen verkehren, wenn man derart verändert ist? Es scheint notwendig, dass eine Gesamtheit von Dingen sich ändert, wenigstens in einem bestimmten Verhältnis, damit man existieren, weiter existieren kann. Da wird die Sache viel komplizierter, weil nicht mehr ein individuelles Bewusstsein allein die Arbeit tun muss, sondern ein kollektives Bewusstsein. Und das ist viel schwieriger.

Zwei Methoden und zwei Möglichkeiten
Worte der Mutter
Da ist die Möglichkeit einer rein supramentalen Schöpfung einerseits und die Möglichkeit einer fortschreitenden Umwandlung eines physischen Körpers in einen supramentalen Körper oder vielmehr eines menschlichen Körpers in einen übermenschlichen Körper. Das wäre eine fortschreitende Umwandlung, die eine Anzahl von Jahren dauern könnte, eine wahrscheinlich recht beträchtliche Anzahl, und die ein Wesen hervorbringen würde, das kein „Mensch“ im animalischen Wortsinn mehr wäre, das aber nicht das supramentale Wesen wäre, das völlig frei außerhalb der Tierhaftigkeit gebildet wurde, da der gegenwärtige Ursprung zwangsläufig ein animalischer Ursprung ist. Es kann sich also eine Transmutation vollziehen, eine Umwandlung, die für die Befreiung aus diesem Ursprung ausreicht, das wäre aber trotzdem keine gänzlich und rein supramentale Schöpfung. Sri Aurobindo hat gesagt, es gäbe eine Zwischengattung – eine Gattung oder vielleicht einige Individuen, man weiß es nicht –, eine Zwischenstufe, die als Durchgang dienen würde oder die je nach den Erfordernissen und Bedürfnissen der Schöpfung weiter erhalten werden könnte. Doch wenn man von einem Körper ausgeht, der so gebildet ist, wie es die menschlichen Körper heute sind, würde dabei nie dasselbe herauskommen wie bei einem Wesen, das nach der supramentalen Methode und Verfahrensweise gebildet wäre. Er wird vielleicht insofern mehr nach der übermenschlichen Seite neigen, als jeder animalische Ausdruck verschwinden kann, aber er wird nicht die absolute Vollendung eines in seiner Bildung rein supramentalen Körpers haben.

Das Göttliche muss sich verhüllen, um dem Menschlichen zu begegnen
Worte Sri Aurobindos
Wenn das Supramental nicht im Körper-Bewusstsein der Mutter verankert ist, so nicht etwa deshalb, denke ich, weil sie nicht dafür bereit ist (was für uns gilt), sondern weil sie, um es zu verankern, zuerst das Physische der Sadhaks und der Erde bis zu einem gewissen Grad vorbereiten muss. Aber einige Leute missverstehen das; sie glauben, dass das Supramental nicht in ihrem Körper verankert sei, weil sie noch nicht Vollkommenheit erlangt habe. Sehe ich das richtig?
Gewiss, wenn wir gleich von Anfang an physisch im Supramental gelebt hätten, so wäre niemand in der Lage gewesen, uns nahe zu kommen, und keine Sadhana wäre möglich gewesen. Es hätte keine Hoffnung auf Kontakt zwischen uns und der Erde und den Menschen geben können. Selbst jetzt muss Mutter zum niederen Bewusstsein der Sadhaks herabkommen, anstatt stets in ihrem eigenen zu bleiben, andernfalls kommen sie und sagen: „Wie fern, wie streng du warst; du liebst mich nicht, ich bekomme keine Hilfe von dir, usw.“ Das Göttliche muss sich selbst verhüllen, um dem Menschlichen zu begegnen.
