Kapitel 1

Aphorismen

Das Ziel

Sind wir über Kenntnisse hinaus, dann haben wir Wissen. Vernunft war das Mittel; Vernunft ist die Schranke.

Sind wir über Bemühungen hinaus, dann haben wir Macht. Anstrengung war das Mittel, Anstrengung ist die Schranke.

Sind wir über Vergnügungen hinaus, dann haben wir Seligkeit. Begierde war das Mittel, Begierde ist die Schranke.

Sind wir über die Individualisierung hinaus, dann sind wir wahre Person. Ego war das Mittel, Ego ist die Schranke.

Sind wir über das Menschentum hinaus, dann sind wir der Mensch. Das Tier war das Mittel, das Tier ist die Schranke.

Wandle die Vernunft in geordnete Intuition; sei ganz und gar Licht. Das ist dein Ziel.

Wandle Anstrengung in gleichmäßiges, freies Strömen von Seelenstärke; sei ganz und gar bewusste Kraft. Das ist dein Ziel.

Wandle Vergnügen in gleichmäßige und gegenstandslose Ekstase; sei ganz und gar Seligkeit. Das ist dein Ziel.

Wandle das gesonderte Einzelwesen in die Welt-Person; sei ganz und gar das Göttliche. Das ist dein Ziel.

Wandle das Tier in den Hirten der Herden; sei ganz und gar Krishna. Das ist dein Ziel.

Was ich jetzt nicht vermag, zeigt an, was ich künftig vollbringen werde. Das Gefühl von etwas Unmöglichem ist der Anfang aller Möglichkeiten. Weil dies zeitliche Universum ein Paradox und eine Unmöglichkeit war, erschuf es der Ewige aus Seinem Wesen.

Das Unmögliche ist nur eine Summe größerer, noch unverwirklichter Möglichkeiten. Es verhüllt einen vorgerückten Abschnitt, eine noch unvollendete Reise.

Willst du, dass die Menschheit weiterkomme, so tritt alle vorgefassten Meinungen mit Füßen. Derart getroffen, erwacht das Denken und wird schöpferisch. Sonst bleibt es in mechanischer Wiederholung befangen und hält dies fälschlich für seine wahre Betätigung.

Sich um die eigene Achse zu drehen ist nicht die einzige Bewegung für die menschliche Seele. Es gibt noch ihr Kreisen um die Sonne einer unerschöpflichen Erleuchtung.

Sei dir erst deiner selbst im Innern bewusst, dann denke und handle. Alles lebendige Denken ist eine Welt in Vorbereitung; alles wirkliche Tun ist ein offenbarter Gedanke. Die stoffliche Welt besteht, weil eine Idee in göttlicher Selbstbewusstheit zu spielen begann.

Denken ist weder Haupt- noch Ursache des Daseins, sondern ein Werkzeug des Werdens: ich werde, was ich in mir sehe. Alles, was Denken mir eingibt, kann ich tun; alles, was Denken in mir enthüllt, kann ich werden. Das sollte des Menschen unerschütterlicher Glaube an sich selbst sein, denn Gott wohnt in ihm.

Immerfort zu wiederholen, was der Mensch schon getan hat, ist nicht unsere Aufgabe, sondern zu neuen Verwirklichungen und ungeahnten Meisterschaften vorzustoßen. Zeit, Seele und Welt sind uns als Feld gegeben, Schau, Hoffnung und schöpferische Vorstellung dienen uns als Eingeber, Wille, Gedanke und Arbeit sind unsere all-wirksamen Mittel.

Was gibt es Neues, das wir noch zu erlangen hätten? Liebe, denn bisher haben wir es nur zu Hass und Selbstgenuss gebracht; Wissen, denn bisher haben wir es nur zu Irrtum, Feststellung und Meinung gebracht; Seligkeit, denn bisher haben wir es nur zu Vergnügen, Schmerz und Gleichgültigkeit gebracht; Macht, denn bisher haben wir es nur zu Schwäche, Anstrengung und vereiteltem Sieg gebracht; Leben, denn bisher haben wir es nur zu Geburt, Wachstum und Sterben gebracht; Einheit, denn bisher haben wir es nur zu Krieg und Bündnis gebracht.

In einem Wort: Gottheit; uns neu zu schaffen nach dem göttlichen Bild.

Die Wonne des Seins

Wäre Brahman nur eine unpersönliche Abstraktion in ewigem Widerspruch zur augenscheinlichen Tatsache unseres konkreten Daseins, so wäre Aufhören das rechte Ende der Angelegenheit; aber auch Liebe, Wonne und Selbstbewusstheit zählen.

Das Weltall ist nicht bloß eine mathematische Formel zur Erarbeitung des Verhältnisses gewisser mentaler Abstraktionen, sogenannter Zahlen und Prinzipien, um am Ende zu einer Null oder einer leeren Einheit zu kommen, noch ist es bloß ein physikalischer Vorgang, der eine bestimmte Kräftegleichung ausdrückt. Es ist die Wonne eines in sich selbst Verliebten, das Spiel eines Kindes, die endlose Selbstvervielfachung eines Dichters, der von Seiner eigenen endlosen Schöpferkraft berauscht ist.

Wir können vom Höchsten als von einem Mathematiker sprechen, der eine kosmische Summe in Zahlen ausdrückt, oder als von einem Denker, der durch Experiment ein Problem des Kräftegleichgewichts und der Verhältnisse von Prinzipien löst: aber wir sollten von Ihm auch sprechen als von einem Liebenden, einem Musiker universaler und einzelner Harmonien, einem Kind, einem Dichter. Die gedankliche Seite genügt nicht; auch jene der Wonne muss voll erfasst werden: Ideen, Kräfte, Existenzen und Prinzipien sind leere Formen, erfüllt sie nicht der Atem der Wonne Gottes:

Dies sind Bilder, aber alles ist ein Bild. Abstraktionen geben uns den reinen Begriff von Gottes Wahrheiten; Bilder geben uns jedoch ihre lebendige Wirklichkeit.

Wenn Idee, Kraft umarmend, die Welten zeugte, so zeugte die Wonne des Seins die Idee. Weil das Unendliche unzählbar Wonne in sich empfing, darum gelangten Welten und Universen in das Dasein.

Bewusstheit des Seins und Wonne des Seins sind die ersten Eltern. Sie sind auch die letzten Transzendenzen. Unbewusstheit ist nur eine dazwischen liegende Ohnmacht des Bewussten oder sein dunkler Schlaf; Schmerz und Selbstauslöschung sind nur Wonnen des Seins, die vor sich selber flieht, um sich anderswo oder anders wiederzufinden.

Die Wonne des Seins ist nicht auf die Zeit beschränkt; sie ist ohne Ende oder Anfang. Gott tritt aus einer Daseinsform heraus, nur um in eine andere einzugehen.

Und was ist schließlich Gott? Ein ewiges Kind, das ein ewiges Spiel in einem ewigen Garten spielt.

Mensch, der Purusha

Gott kann nicht aufhören, sich zur Natur niederzuneigen, noch der Mensch, zur Gottheit emporzustreben. Das ist die ewige Beziehung zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen. Scheinen sie sich voneinander abzukehren, so nur, um sich inniger zu begegnen.

Im Menschen wird sich die Welt-Natur ihrer selbst wieder bewusst, damit sie den größeren Sprung zu ihrem Genießer hin tun könne. Dieser Genießer ist es, den sie unwissentlich besitzt, den Leben und Empfindung besitzen und zugleich leugnen, den sie leugnen und zugleich suchen. Die Welt-Natur kennt Gott nur darum nicht, weil sie sich selbst nicht kennt; sobald sie das tut, wird sie die unvermischte Wonne des Seins kennen.

In der Einheit zu besitzen ist das Geheimnis, und nicht in ihr sich zu verlieren. Gott und Mensch, Welt und Jenseits werden eins, wenn sie einander kennen. Ihre Trennung ist die Ursache der Unwissenheit, wie Unwissenheit die Ursache des Leidens ist.

Zuerst sucht der Mensch blind und weiß nicht einmal, dass er sein göttliches Selbst sucht; denn er beginnt im Dunkel der stofflichen Natur, und noch wenn er anfängt zu sehen, ist er lange geblendet von dem Licht, das in ihm wächst. Auch Gott antwortet dunkel auf sein Forschen; Er sucht des Menschen Blindheit und freut sich daran wie an Kinderhänden, die nach der Mutter tappen.

Gott und Natur sind wie ein Knabe und ein Mädchen bei verliebtem Spiel. Sie verstecken sich und laufen, wenn erblickt, voreinander davon, um sich suchen, jagen und fangen zu lassen.

Der Mensch ist Gott, der sich vor der Natur verbirgt, dass er sie durch Kampf, Beharrlichkeit, Gewalt und Überraschung besitzen möge. Gott ist der universale und transzendente Mensch, der sich vor seiner eigenen Individualität im menschlichen Wesen verbirgt.

Das Tier ist der in ein Fell verkleidete Mensch auf vier Beinen; der Wurm ist der auf die Entwicklung seines Menschentums zukriechende Mensch. Sogar die groben Formen der Materie sind der Mensch in seinem unfertigen Körper. Alles ist Mensch, der Purusha.

Denn was verstehen wir unter Mensch? Eine unerschaffene und unzerstörbare Seele, die Wohnung nahm in einem Mental und Körper, die aus ihren eigenen Elementen gemacht sind.

Das Ende

Die Begegnung von Mensch und Gott bedeutet immer ein Eindringen und Eintreten des Göttlichen in das Menschliche und ein Sich-Versenken des Menschen in die Göttlichkeit.

Doch ist jenes Versenken nicht von der Art einer Selbstvernichtung. Auslöschung ist nicht die Erfüllung all dieser Suche und Leidenschaft, dieses Leidens und Entzückens. Das Spiel wäre nie begonnen worden, müsste es derart enden.

Wonne ist das Geheimnis. Lerne das reine Entzücken kennen, und du kennst Gott.

Was war denn der Anfang der ganzen Geschichte? Dasein, das sich aus schierem Entzücken am Sein vervielfachte und in zahllose Trillionen von Formen tauchte, um sich unzählig wiederzufinden.

Und was liegt in der Mitte? Trennung, die zu vielfältiger Einheit strebt, Unwissenheit, die zu einer Fülle mannigfaltigen Lichtes sich hin bemüht, Schmerz, der in den Wehen unvorstellbarer Ekstase liegt. Denn das alles sind dunkle Erscheinungsformen und entstellte Schwingungen.

Und was ist das Ende der ganzen Geschichte? Wie Honig, der sich selbst und all seine Tropfen zusammen kosten würde, und all seine Tropfen würden einander und jeder die ganze Wabe als sich selbst kosten, so dürfte es am Ende mit Gott und der Seele des Menschen und dem Weltall sein.

Liebe ist der Grundton, Freude die Melodie, Kraft der Zusammenklang, Wissen der Musiker, das unendliche Weltall der Komponist und die Zuhörerschaft. Wir kennen erst die vorbereitenden Misstöne, die ebenso schlimm sind, wie die Harmonie großartig sein wird; bestimmt aber kommen wir zur Fuge der göttlichen Glückseligkeiten.

Die Kette

Die ganze Welt sehnt sich nach Freiheit, und doch ist jedes Geschöpf in seine Ketten verliebt; das ist das erste Paradox und der unauflösbare Knoten unserer Natur.

Der Mensch ist in die Bande der Geburt verliebt; daher ist er auch in die entsprechende Bande des Todes geschlagen. In diesen Fesseln strebt er nach der Freiheit seines Wesens und der Herrschaft seiner Selbst-Erfüllung.

Der Mensch ist in die Macht verliebt; daher ist er der Schwäche unterworfen. Denn die Welt ist ein Meer von Kräftewogen, die ständig aufeinanderstürzen; wer auf dem Rücken einer Welle reiten will, muss unter dem Anprall Hunderter ermatten.

Der Mensch ist ins Vergnügen verliebt; daher muss er das Joch von Kummer und Schmerz auf sich nehmen. Denn unvermischte Verzückung gibt es nur für die freie und leidenschaftslose Seele; doch was im Menschen dem Vergnügen nachjagt, ist eine leidende und angestrengte Energie.

Der Mensch hungert nach Ruhe, aber ihn dürstet auch nach den Erfahrungen eines unsteten Mentals und friedlosen Herzens. Genuss ist für sein Mental etwas Fieberhaftes, Ruhe etwas Träges und Eintöniges.

Der Mensch ist verliebt in die Begrenzungen seines physischen Wesens, und doch verlangt es ihn auch nach der Freiheit seines unendlichen Geistes und seiner unsterblichen Seele.

Und etwas in ihm fühlt sich von diesen Gegensätzen seltsam angezogen; sie machen für sein mentales Wesen das Künstlerische des Lebens aus. Nicht nur der Nektar, sondern auch das Gift reizt seine Neugier und seinen Geschmack.

In alledem liegt ein Sinn, und aus all diesen Widersprüchen gibt es eine Befreiung. Die Natur hat Methode bei jedem Wahnsinn ihrer Verwicklungen, und für die unentwirrbarsten Knoten gibt es eine Lösung.

Tod ist die ständige Frage der Natur an das Leben und ihre Mahnung, dass es sich selbst noch nicht gefunden hat. Würde es nicht vom Tod bestürmt, so bliebe das Geschöpf auf alle Zeiten in einer unvollkommenen Lebensform gefangen. Vom Tod verfolgt, erwacht es zur Idee eines vollkommenen Lebens und macht dazu Mittel und Möglichkeit ausfindig.

Gleicherweise stellt Schwäche die Kräfte, Energien und Größen, auf die wir so stolz sind, auf die Probe und in Frage. Macht ist das Spiel des Lebens, zeigt seine Stufe an und findet den Wert seines Ausdrucks; Schwäche ist das Spiel des Todes, der das Leben in seiner Bewegung verfolgt und die Grenze seiner erworbenen Energie betont.

Schmerz und Leid sind die Mahnungen der Natur an die Seele, dass der Genuss ihres Vergnügens nur eine schwache Andeutung der wirklichen Wonne des Daseins ist. Jeder Schmerz und jede Qual unseres Wesens birgt das Geheimnis einer Flamme der Verzückung, mit der verglichen unsere größten Vergnügungen bloß trübes Geflacker sind. Dies Geheimnis ist es, was für die Seele die Anziehung großer Prüfungen, Leiden und grimmiger Lebenserfahrungen ausmacht, die das nervliche Mental in uns verabscheut und meidet.

Die Rastlosigkeit und rasche Erschöpfung unseres tätigen Wesens und seiner Werkzeuge sind das Zeichen der Natur, dass Ruhe unsere wahre Grundlage ist und Aufregung eine Krankheit der Seele; die Fruchtlosigkeit und Einförmigkeit der bloßen Ruhe ist ihr Hinweis darauf, dass sie auf jener festen Grundlage das Spiel der Tätigkeiten von uns erwartet. Gott spielt immerdar und regt sich nie auf.

Die Grenzen des Körpers sind eine Hohlform; Seele und Geist müssen einströmen, jene aufbrechen und beständig erweitern, bis die Formel der Übereinstimmung zwischen diesem Endlichen und ihrer eignen Unendlichkeit gefunden ist.

Freiheit ist das Gesetz des Wesens in seiner unbegrenzbaren Einheit, sie ist der geheime Meister aller Natur: Dienstbarkeit ist das Gesetz der Liebe im Wesen, das sich freiwillig hingibt, um in der Vielfalt dem Spiel seiner anderen Selbste zu dienen.

Wenn Freiheit in Ketten arbeitet und Dienstbarkeit nicht Gesetz der Liebe ist, sondern der Kraft, dann wird die wahre Natur der Dinge entstellt, und Falschheit bestimmt der Seele Umgang mit dem Dasein.

Die Natur fängt mit dieser Entstellung an und spielt mit allen Kombinationen, zu denen sie führen kann, ehe sie die Berichtigung erlaubt. Dann hebt sie die ganze Essenz dieser Kombinationen empor in eine neue und reiche Harmonie der Liebe und der Freiheit.

Freiheit kommt durch Einheit ohne Grenzen; denn dies ist unser wahres Wesen. Wir können die Essenz dieser Einheit in uns selbst gewinnen; wir können ihr Spiel verwirklichen im Einssein mit allen anderen. Diese doppelte Erfahrung ist die vollständige Absicht der Seele in der Natur.

Haben wir unendliche Einheit in uns verwirklicht, dann bedeutet, uns an die Welt hinzugeben, äußerste Freiheit und absolute Herrschaft.

Unendlich, sind wir frei von Tod; denn dann wird das Leben ein Spiel unseres unsterblichen Daseins. Wir sind frei von Schwäche; denn wir sind das ganze Meer, das den tausendfachen Anprall seiner Wogen genießt. Wir sind frei von Kummer und Schmerz; denn wir lernen unser Wesen mit allem, was es berührt, in Einklang zu bringen und in allen Dingen das Wirken und Gegenwirken der Wonne des Daseins zu finden. Wir sind frei von Begrenzung; denn der Körper wird ein Spielzeug des unendlichen Geistes und lernt, dem Willen der unsterblichen Seele zu gehorchen. Wir sind frei von der Fieberhaftigkeit des nervlichen Mentals und des Herzens und dennoch nicht auf die Unbewegtheit beschränkt.

Unsterblichkeit, Einheit und Freiheit ruhen in uns und harren unserer Entdeckung; aber um der Freude der Liebe willen bleibt Gott in uns dennoch der Vielfältige.